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Drohung, die Völker Italiens mit dem Schwerte zu vertilgen, malen uns einen fanatischen Wütherich[1].

Daher hielt es am Anfang des 9. Jahrhunderts der Ravennatische Kirchenchronist Agnellus für unmöglich, dass die Gebeine des Arianischen Ketzers dauernd in dem von Theoderich selbst erbauten Mausoleum ihre letzte Ruhestätte gefunden hätten; sie waren nach seiner Ueberzeugung den Elementen preisgegeben worden, und nur die entleerte Aschenurne, aus einem gewaltigen Porphyr kunstvoll gefertigt, hatte vor dem Eingang zum Kloster der heiligen Maria einen Platz gefunden[2].

Aber es war nicht mehr bloss der Arianische Fanatiker, der Usurpator Italiens, welcher der gebildeten abendländischen Christenheit hassenswerth erschien, es war der Typus eines aus gemeiner Habsucht grausamen Tyrannen, zu dem die kirchliche Dichtung dieser Zeit das Andenken des grossen Ostgothen entstellt hatte. Hieran trug nicht bloss die kirchliche Geschichtsschreibung die Schuld; sie hatte einen mächtigen Bundesgenossen in der Schrift des Boethius: de consolatione philosophiae gefunden, welche die schwersten Angriffe gegen Theoderich’s Charakter enthält und ihm hauptsächlich Habgier zum Vorwurf macht. Die nächste Umgebung Theoderich’s nennt er z. B. die gierigen Hunde des Palastes, deren Rachen er persönlich mit eigener Lebensgefahr manche Beute entrissen habe, den König selbst rex avidus exitii communis[3]. Die Handschriften dieses bis in die neueste Zeit sehr überschätzten Werkes tauchten auf Deutschem Boden schon frühzeitig in den Klöstern St. Gallen und Reichenau auf und fanden um so mehr Beifall, als man die neuplatonische Richtung des Boethius damals noch nicht durchschaute, ihn vielmehr wegen der zahlreichen ihm mit Unrecht zugeschriebenen theologischen Schriften für einen Verfechter der Orthodoxie

  1. Paul. Diac. hist. Rom. XVI, 8–10.
  2. Agnelli lib. pontif. eccles. Rav. c. 39 (SS. rer. Lang. 304): Theodoricus autem post XXXIV anno regni sui coepit claudere ecclesias Dei et coartare christianos, et subito ventri fluxus incurrens mortuus est sepultusque in mausoleum, quod ipse haedificare iussit extra portas Artemitoris, quod usque hodie vocamus ad Fanum, ubi est monasterium Sanctae Mariae, quod dicitur ad memoria regis Theodorici. Sed, ut mihi videtur, ex sepulcro proiectus est et ipsa urna, ubi iacuit, ex lapide pirfiretico valde mirabilis ante ipsius monasterii aditum posita est.
  3. Boeth. de consol. I, 4 (ed. Peiper).
Empfohlene Zitierweise:
Gerhard Schneege: Theoderich der Grosse in der kirchlichen Tradition des Mittelalters und in der Deutschen Heldensage. In: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Band 11 (1894), S. 18–45. Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, Freiburg i. Br., Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1894_11_027.jpg&oldid=- (Version vom 16.10.2023)