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Allerdings ist das Zeugniss des Lobredners zunächst ohne geschichtlichen Werth, gewinnt jedoch an Bedeutung, wenn wir uns die äusserlich wenigstens glänzende Stellung Theoderich’s als des mächtigsten Germanenkönigs seiner Zeit vergegenwärtigen. Jordanes und Prokop wenigstens haben ihn dafür gehalten. Der äussere Glanz hat sie über die innere Schwäche des Ostgothenreichs getäuscht[1]. So schrieb Jordanes, der dem Hause der Amaler vielleicht verwandte, jedenfalls aber warme Verehrer des grossen Königs, es habe im Abendlande kein Volk gegeben, welches sich nicht dem Ansehen Theoderichs, sei es friedlich, sei es gewaltsam, habe beugen müssen[2]. Mit Stolz betonte er schon vorher, dass zu Lebzeiten Theoderich’s der Gothe dem Franken nie gewichen sei[3]. Chlodwig der Franke ist von den Zeitgenossen nicht einmal mit Theoderich verglichen worden[4]. Auch er war unzweifelhaft von hoher persönlicher Tapferkeit; es fehlten ihm aber die edlen Züge, welche den Helden Theoderich verklären. Chlodwig war ein grosser Krieger, ein Mann von selten praktischem Instinct, ohne ideale Ziele. Der Erfolg zwar hat seiner rücksichtslosen, ja brutalen Politik Recht gegeben, und das Ideal Theoderich’s ist an Byzantinischer Uebermacht und Römischem Verrath gescheitert, die Zeitgenossen aber haben Chlodwig nicht nach seinen Erfolgen beurtheilt; selbst die späteren Fränkischen Geschichtsschreiber können sich nicht für ihn begeistern. Objective und urtheilsfähige Zeitgenossen haben sich für Theoderich als den Grösseren entschieden. Da wir nun mit Uhland[5] und Karl Meyer[6] annehmen dürfen, dass die Alamannen es waren, die in dankbarer Erinnerung an den Schutz, den sie bei Theoderich gegen den Fränkischen Eroberer gefunden hatten[7], das Andenken desselben treu bewahrt und die Sage von Dietrich von Bern in ihren geschichtlichen Zügen entwickelt

  1. Dahn, Könige II S. 140 f.; 154 f.
  2. Jord. Get. 58: nec fuit in parte occidua gens, quae Theodorico, dum adviveret, aut amicitia aut subiectione non deserviret.
  3. Jord. Get. 57: nunquamque Gothus Francis cessit, dum viveret Theodoricus.
  4. Prokop de bell. Goth. III, 1 nennt Geiserich und Theoderich die glänzendsten Könige der Germanen.
  5. Uhland in Pfeiffer’s Germania I, 304 ff.
  6. K. Meyer, Die Dietrichssage in ihrer geschichtl. Entwicklung.
  7. Dahn, Könige II, 146 f.
Empfohlene Zitierweise:
Gerhard Schneege: Theoderich der Grosse in der kirchlichen Tradition des Mittelalters und in der Deutschen Heldensage. In: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Band 11 (1894), S. 18–45. Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, Freiburg i. Br., Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1894_11_039.jpg&oldid=- (Version vom 5.5.2023)