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bewahrte, und die Hilfe der Ostgothischen Stammesbrüder ausblieb. Heftige Schmähungen wurden gegen Theoderich ausgestossen, sein Zaudern und seine Vorsicht bitter getadelt[1]. Als jedoch die Entscheidungsschlacht geschlagen war, und der Franke unwiderstehlich nach Süden vordrang, erkannte Theoderich, dass das Schwert zwischen ihm und Chlodwig entscheiden müsse; er sammelte rasch das ganze Aufgebot der Ostgothischen Macht, sandte seinen Feldherrn Ibba nach Gallien und rettete durch einen glänzenden Sieg an der Durance seinem Enkel Amalarich Septimanien, während er für sich die Provence gewann[2].

Die Vorsicht Theoderich’s musste Allen, die nicht politische Klugheit in ihr erkannten, als Zaghaftigkeit erscheinen; sein rasches und erfolgreiches Eingreifen im richtigen Augenblicke nachher um so mehr Bewunderung erregen. Daher erzählt uns Fredegar in seinem fabelreichen Sammelwerke: In den Kämpfen unter den Mauern Ravennas floh einst Theoderich vor Odoaker. Da trat ihm seine Mutter mit den spöttischen Worten entgegen, ihr Schooss sei der einzige Zufluchtsort, der ihm noch geblieben sei. Tiefbeschämt kehrt Theoderich um, wirft sich mit einer kleinen Schaar auf den Feind und vernichtet ihn[3]. – Schon im 7. Jahrhundert also hat sich die Sage dieses Zuges bemächtigt und ihn dann im Charakter Dietrich’s von Bern dauernd festgehalten.

Die gewaltige und doch bescheidene Gestalt Dietrich’s wird uns besonders sympathisch durch die Milde und edle Mässigung des sieghaften Helden. Nicht der Tod des Gegners, nur der

  1. Prok. l. c. I, 12: κηδεστοῦ τὴν μέλλησιν ὀνειδίζοντες.
  2. Dahn, Könige II, 149 f.
  3. Fred. chron. II, 57 (SS. rer. Merow. II, 78): Theudericus fugiens cum suis Ravennam ingressus est; ibique mater eius Ciliam obviam veniens, increpans eum dicens: „Non est, ubi fugias, fili, nisi ut levi vestimenta mea, ut ingredias utero, de quo natus es“. Mit Recht charakterisirt Wattenbach (Deutschlands G.-Qn. I6, 105) Fredegar’s Fabeln im allgemeinen als „Erzeugnisse einer kindischen Gelehrsamkeit und kecken Erfindung, echter Sage völlig fremd“; allein diese Erzählung erweist sich durch die Sage von Dietrich von Bern als ein ursprünglich echter Zug der Sage, allerdings auch hier, wie immer bei Fredegar, in fremdartigem, gelehrtem Gewande. Denn was hier von Dietrich’s Mutter gefabelt wird, erzählen uns Justin (I, 6) und Orosius (I, 19) von den Persischen Frauen, wenn sie ihre Söhne und Gatten als feig beschämen wollten.
Empfohlene Zitierweise:
Gerhard Schneege: Theoderich der Grosse in der kirchlichen Tradition des Mittelalters und in der Deutschen Heldensage. In: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Band 11 (1894), S. 18–45. Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, Freiburg i. Br., Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1894_11_043.jpg&oldid=- (Version vom 5.5.2023)