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ihm zunächst zugekommenen Nachrichten die Wahl Karl’s für unvermeidlich ansah. Daher darauf bedacht, sich für alle Fälle nach beiden Seiten zu decken, unterhandelte er so verschmitzt, dass um die Jahreswende beide Bewerber, Franz von Frankreich und Karl von Spanien, vertragsmässig zu seinem Schutz, auch wider einander, verpflichtet waren; und zwar beide dazu bewogen mittelst des durch keine übernommene Verpflichtung bestätigten, aber künstlich erregten Wahns, den Papst in der Wahlfrage für sich zu haben. Das alles und insbesondere die Thatsächlichkeit eines derartigen Abkommens auch mit Spanien sind gesicherte Resultate Nitti’s. Ferner hat Leo im Verlauf dieser diplomatischen Campagne nicht gewagt, dem mächtigen und in Neapel benachbarten König Karl unwillfährig sich zu beweisen. Anfang November 1518 war die päpstliche Bulle, welche für diesen Fall das Hinderniss der Unvereinbarkeit der kaiserlichen und der Neapolitanischen Krone aufhob, ausgefertigt und wurde nur auf Andringen Lorenzo’s noch geheim gehalten, um Franz I. nicht zu dem Glauben gelangen zu lassen, dass der Papst die Wahl seines Gegners nicht bloss nothgedrungen dulde, sondern im Gegentheil befördere[1].

Mit diesem Resultat Nitti’s stimmt nun trefflich die von mir vertretene Anschauung[2], wonach um die gleiche Zeit etwa Leo beim Kaiser die Erwartung begünstigt hat, dass er die vor der Königswahl Karl’s erforderliche oder doch wünschenswerthe Krönung Maximilian’s mit der Kaiserkrone an der Grenze, etwa in Trient, vorzunehmen oder vornehmen zu lassen bereit sei. Dass er damit ebenso dissimulirte, wie mit dem Dispens, ist ja klar: aber der verdiente Herausgeber der jüngeren Reihe der Reichstagsacten[3] hat doch durchaus fehlgegriffen, wenn er die Aussagen Maximilian’s für unwahr und ein von mir ans Licht gestelltes weiteres Zeugniss für eine blosse Fälschung zu Wahlzwecken

  1. Nitti, S. 130 f.; vgl. 207, Anm. 1. Dazu ist vor wenigen Wochen noch die durch Karl im März 1519 dem Papst in’s Gesicht geworfene Erinnerung gekommen, s. Dt. RTA., Jüngere Reihe I, Nr. 182 (S. 485; vgl. S. 563).
  2. Kaiser Maximilian I., 2. Bd., S. 706. Nitti, dem meine Arbeit nicht vorgelegen, ist seinerseits zu gleicher Auffassung gekommen. S. 147.
  3. A. a. O. Einleitung S. 124 f. Es ist ein ungünstiges Zusammentreffen, dass Nitti’s Forschungen bei dieser grossen Publication nicht mehr benutzt werden konnten.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1894, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1894_11_102.jpg&oldid=- (Version vom 25.6.2023)