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des Papstes, dass die Vollziehung der im Juni 1520 erlassenen Bannbulle wider Luther und seine Anhänger selbstverständliche und nicht zu bezweifelnde Pflicht des Kaisers sei. Erst als er zu seinem Schrecken durch Aleander darüber aufgeklärt wurde, dass Karl eine Vollziehung des in Rom gesprochenen Urtheils nicht ohne den Reichstag und, wie im Januar 1521 (!) in Rom bekannt geworden, nicht ohne Berufung Luther’s unternehmen werde, erst dann habe die Empfindung der furchtbaren dem Ansehen des heiligen Stuhls drohenden Gefahr den Papst während dreier Monate ganz in Anspruch genommen und alle seine Schritte beherrscht[1].

Wenn es nun schon ein gefährliches Stück ist, dass Nitti jeden Erfolg der doch bekanntlich so intimen Verhandlungen mit Franz I. während des Winters so gut wie ausgeschlossen betrachtet, so halte ich die hier gewagte Separation des politischen Processes vom kirchlichen für verfehlt[2]. Die auch sonst bemerkbare Freude an festen, klaren Ansätzen mittelst politischer Analyse hat den Verfasser hierbei über die Grenzen des Erweislichen allzuweit hinausgeführt. Nicht ohne Schuld an dem Missgriff ist meines Erachtens die zu geringe Berücksichtigung der neueren reformationsgeschichtlichen Literatur neben den Acten. Nitti hat es trotz aufgewandter Mühe hinsichtlich Luther’s und der durch ihn entfachten Bewegung doch nur zu einem unvollständigen und recht schiefen Bild gebracht.

Wer die Anfänge Luther’s, den Verlauf der früheren Schritte Roms zu seiner Vernichtung aufmerksam verfolgt, kann die seitens der Curie angenommene Miene, als ob die Ausführung des Spruchs vollkommen gesichert sei, nur als Maske verstehen. So geschwellt das Machtgefühl des Papstthums seit dem Erfolg der papalistischen Idee auf dem Lateranconcil auch war, die Vorgänge in Deutschland seit 1518 – das erweist auch meine erste Studie über Leo – mussten doch die Blicke für das was vorging geschärft haben.

Da nun Leo, so wenig der religiöse Kern des Streits ihn berührt hatte und berührte, spätestens seit Mai 1520 die, so zu

  1. Nitti 368 und 387.
  2. Die Verdienste Nitti’s im Einzelnen, z. B. seine bessere Collation der zuerst durch Bergenroth benutzten wichtigen Depeschen Don Manuel’s aus Rom, bleiben dabei bestehen.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1894, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1894_11_111.jpg&oldid=- (Version vom 25.6.2023)