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sind die Schulden noch lange nicht getilgt: denn da die Klöster ihr herannahendes End merkten, so pakten sie bey Seite, lebten voll auf, und machten oft noch Schulden, so dass man bey weitem nicht die Schäze hinter ihnen fand, die man zu finden gehofft hatte. Auch machen die Pensionen, welche man den verabscheideten Klosterleuten geben muss, wenn sie schon an sich sehr gering sind, doch im ganzen eine beträchtliche Summe aus.

In Wien wird viel Lermens mit der dortigen Aufklärung gemacht; allein wenn man der Sache näher auf den Grund kömmt, und gewahr wird, dass das Haupt der Monarchie noch unaufgeklärt genug ist, um das Weihwasser und den Beichtvater unter seinen wesentlichsten Bedürfnissen zu haben, so lässt sich bald urtheilen, wie das ganze beschaffen ist, und auf was für festen Pfeilern es ruht. Zwahr ist nicht zu läugnen, dass der Kaiser guten Willen und Thätigkeit in grossem Maass besize; – aber Klugheit und Standhaftigkeit scheinen der Ausführung seiner Projekten fast immer zu mangeln. – Der Charakter des Kaisers ist ein sonderbares Gemisch von guten und mittelmässigen Eigenschaften; die unter der Direction eines aufgeklärten Verstands und guter Grundsäze gewiss die vortreflichsten Wirkungen hervorbringen könnten. – Seine überwiegenden Neigungen scheinen Ehrbegierde und grosse Sparsamkeit zu seyn. – Sein erster Grundsatz ist, Selbstständig zu seyn, und sich von niemanden beherschen zu lassen. Zufolge dieses Grundsazes hält er sich keine beständige Maitresse, ungeachtet seiner starken Zuneigung fürs schöne Geschlecht; denn er traut seiner eignen Stärke nicht, und fürchtet, eine solche Person möchte leicht eine Uebermacht über ihn gewinnen, und sich Einfluss in die Geschäfte zu verschaffen wissen. Er ändert daher beständig mit seinen Favoritinnen ab, so bald er fühlt, dass sein Attachement für eine Person wächst; und ruinirt seine Gesundheit. Dieser Sorgfalt ungeachtet, behaupten doch Leute, welche die Verbindungen der Dinge näher kennen, dass er in den meisten Fällen geleitet wird, ohne es zu fühlen. Und wirklich ist auch nichts leichter, so bald man seinen Charakter weiss, der immer auffallende und unerwartete Sachen sucht. Wenn seine Hofleute ihm etwas beybringen wollen, so sprechen sie in seiner Gegenwart beyseite zusammen; er frägt sie von was sie reden; sie stellen sich erschroken, und sagen, das Publicum urtheile über den Ausgang dieser oder jener Sache so und so: und dann sind sie sicher, dass er gerade das Gegentheil davon thut. – Zuweilen frägt er auch von freyen Stüken, was die Leute zu diesem oder jenem Geschäft sagen; dann lächelt er, und giebt gerade Befehl das entgegengesezte zu thun. Nur um immer neu, auffallend und Selbstständig zu seyn.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1894, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1894_11_166.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2023)