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sich selbst zu stellen haben. Den Mittelpunkt der wirklich ernsten Thätigkeit in den Localvereinen bildete Jahrzehnte lang die Herausgabe eines Urkundenbuches der Provinz, der Stadt oder des Stiftes. Diese Urkundenbücher konnten im wesentlichen nach denselben Grundsätzen bis in das 14. Jahrhundert hinein geführt werden. Daneben wurde für spätere Zeiten mehr zufällig und ohne feste Grundsätze bald eine chronikalische Quelle oder ein Briefwechsel publicirt, bald ein biographisches Lebensbild entworfen, bald ein Griff in das Culturleben gethan, eine Mittheilung über wirthschaftliche Verhältnisse oder dergleichen mehr als vereinzelte Curiosität denn als Glied einer wissenschaftlichen Forschung dargeboten. Das ist nun anders geworden: die alte Aufgabe der Urkundenbücher bis in’s 14. Jahrhundert ist zwar nicht überall schon gelöst, aber es drängt sich doch neben sie die neue Doppelaufgabe: für die späteren Zeiten und für das Gebiet der Culturgeschichte systematisch vorzugehen. Der z. Th. reichere, z. Th. auch ganz andersartige Stoff verlangt natürlich auch andere Publicationsgrundsätze.

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Im allgemeinen wird man für die neuere Entwicklung, wie sie uns auch in den Leipziger Berichten entgegentrat, als charakteristisch bezeichnen dürfen, dass folgende Aufgaben der Landesgeschichtsforschung mehr in den Vordergrund getreten sind: 1. umfassendere Quellenpublicationen für den Ausgang des Mittelalters und neuere Geschichte, 2. Anfänge zu einer systematischen Bearbeitung der localen Verfassungs-, Wirthschafts- und besonders Verwaltungsgeschichte, 3. systematische Verzeichnung der Kunstdenkmäler nach localen Gesichtspunkten, 4. Anfänge zu einer systematischen kartographischen Aufnahme der landesgeschichtlichen Forschungsergebnisse, 5. vielleicht auch einleitende Schritte für die systematische Sammlung der Volksüberlieferung in Sitte, Brauch, Lied und Wort und für systematische Forschungen zur Sittengeschichte. Diese Aufzählung beansprucht nicht erschöpfend zu sein, sie will nur den allgemeinen Eindruck ungefähr andeuten. Natürlich treten die charakteristischen Erscheinungen auch nicht überall gleich stark hervor, am deutlichsten sind die meisten in neueren Organisationen zu beobachten. Auch läuft, wie ohne weiteres zuzugeben ist, manche Modethorheit mit unter; man hängt sich gern mit einer schwungvollen Geste das wirthschaftsgeschichtliche Mäntelchen um, wo man sich früher begnügte, auf die wirthschaftlichen Beziehungen anspruchslos hinzuweisen; aber alles in allem genommen handelt es sich nicht um eine Mode, sondern um die ernsthafte und ganz natürliche Entwicklung der historischen Forschung.

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Eine natürliche Folge der zunehmenden Bedeutung der Landesgeschichtsforschung ist eine Entwicklung der Organisation. Man sieht leicht ein, dass der Zusammenhang zwischen den Fachgelehrten und den Organisationen, die der Localforschung gewidmet sind, ein engerer werden muss. Die strenge Fachwissenschaft hat ein lebhaftes Interesse an der Localforschung, ordnet sich selbst zum Theil in ihre Reihen ein und gibt ihr neue Anregungen. Aus diesen Verhältnissen ist das Bedürfniss erwachsen, entweder die schon bestehenden Organisationen auszubauen oder völlige Neuschöpfungen zu versuchen. Im allgemeinen geht der Zug der

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1894, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1894_11_196.jpg&oldid=- (Version vom 10.5.2023)