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Philipp deren Bestrafung gefordert habe, während erst die päpstliche Commission gegen den ganzen Orden die Anklage auf Ketzerei in Gang gebracht haben soll. Dabei möchte ich noch auf einen bemerkenswerthen Umstand aufmerksam machen.

In den Vorträgen, die Ranke im Herbste 1854 König Maximilian II. von Baiern in Berchtesgaden gehalten hat[1], bemerkt er: „Philipp der Schöne war überhaupt ferne davon, die päpstlichen Anschauungen der früheren Jahrhunderte zu theilen und zeigte dies auch in seiner grausamen Procedur gegen die Tempelritter, obwohl er ihnen die Schändlichkeiten nicht nachweisen konnte, die er ihnen zur Last legte“. Damals also war er von einer Schuld des Ordens nicht überzeugt. Wenn er sich dann in den Vorlesungen, deren Nachschrift uns als 8. Theil der Weltgeschichte vorliegt und die 1869/70 von ihm vertretene Auffassung wiedergibt, für eine Schuld des Ordens ausspricht, so erhellt daraus, dass auch ein Ranke in dieser Frage seine Meinung im Laufe der Jahre geändert hat, und sicherlich hat er dies nicht ohne schwerwiegende, durch erneute Prüfung als zwingend erkannte Gründe gerade zu Ungunsten des Ordens gethan[2].

Hermann Reuter[3] erklärt auch nach den ihm bekannt gewordenen Untersuchungen Havemann’s, „dass die Processacten zwar keine sichere Grundlage geben“, kann sie aber „nicht für völlig kritisch werthlos halten“. Er hält daher den Brauch der Abnegation für erwiesen und sucht seine Entstehung und seine ursprüngliche Bedeutung psychologisch zu erklären.

Im Gegensatze dazu haben nun namentlich Lea und Gmelin den Protokollen jede Glaubwürdigkeit abgesprochen, indem sie auf das bei der Inquisition übliche Verfahren hinweisen und alle im Sinn einer Verschuldung des Ordens ergangenen Aussagen als erschlichen durch Einschüchterung oder erzwungen durch die

  1. Weltgesch. IX, 2, S. 119.
  2. Einem der letzten und intimsten Schüler Ranke’s, der auch in späteren Jahren noch mit dem Meister in mannigfachem Verkehr stand und das Neuaufleben des Templerproblems besprach, verdanke ich die Mittheilung, dass Ranke sich damals in derselben Weise darüber geäussert hat, wie nach Loiseleur a. a. O. S. 1/2 Napoleon I.: wo schon die Zeitgenossen so entgegengetzter Meinung gewesen seien und nichts Sicheres gewusst hätten, würden wir nach so langer Zeit das Geheimniss zu durchdringen sicher nicht vermögen.
  3. Vgl. S. 250.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1894, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1894_11_267.jpg&oldid=- (Version vom 13.5.2023)