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Frankreich und die Erörterung der Frage, wie sich Oesterreich bei Ausbruch eines Russisch-Französischen Conflicts verhalten würde.

Kurz nach Humboldt’s Eintreffen in Wien war auch Metternich aus Paris, wo er vom März bis October 1810 geweilt hatte, zurückgekehrt, und die diplomatische Welt discutirte eifrig die Frage, welche Erfolge der Minister wohl am Hofe der Tuilerien erreicht haben möge. Humboldt glaubte (26. September), dass die ganze Reise von keiner politischen Wichtigkeit wäre, und er hatte damit vollkommen Recht[1]. Er beklagt im allgemeinen (29. September), dass Metternich durch eigene Fehler oder durch die Umstände in eine kritische Situation gerathen sei. Sein Aufenthalt in Paris habe Hoffnungen erweckt, die sich nicht erfüllen würden. Man habe sich eingebildet, Napoleon werde an Oesterreich einen Theil der verlorenen Provinzen zurückgeben, und man werde nun dem Minister die Schuld aufbürden, wenn seine Reise keines der erwarteten Resultate gehabt habe. Allerdings machen sich auch andere Ansichten geltend. Leute, die die Sache im wahren Lichte sehen, urtheilen, Metternich’s Haltung sei sehr klug gewesen, dass er nicht auf Verhandlungen einging, die nur scheinbar vortheilhaft gewesen wären, seinen Hof aber in ein System hinein genöthigt hätten, welches das seinige nicht sein kann. Eine Allianz mit Frankreich könne Oesterreich jetzt nichts nützen, da dieses weder im Stande sei, jenem genügend zu imponiren, um wirklich günstige Bedingungen zu erlangen, noch über die genaue Ausführung etwaiger Bestimmungen zu wachen. Als Oesterreichs einzig richtige Politik in gegenwärtiger Zeit bezeichnet Humboldt, der Kaiserstaat müsse fest und ruhig in seiner Stellung bleiben, sich im Inneren consolidiren, sich auf die Ereignisse vorbereiten, jede Annäherung, die zu weit führen könne, vermeiden, und wolle Frankreich es an der Ausführung seiner Pläne theilnehmen lassen, müsse es ihm den gleichen passiven, aber unüberwindlichen Widerstand entgegensetzen, der auch schon früher angebracht gewesen wäre. Aus dieser richtigen Ansicht geht auch sein Bedauern hervor, dass Metternich überhaupt und gar auf so lange Zeit nach Paris gegangen sei. Er hofft nur, dass die Gegner des leitenden Ministers

  1. Aus Metternich’s Nachgelassenen Papieren I, 1, 102 f.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1895, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1895_12_084.jpg&oldid=- (Version vom 24.5.2023)