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dass, wenn es erst an Brot und Fleisch fehlen werde, Volksbewegungen entstünden. Diesem Zustande wäre ein erklärter Bankerott noch vorzuziehen, aber man arbeite hier bloss mit Scheinmitteln. An allen amtlichen Stellen herrschen Unordnung und Langsamkeit, alles falle auseinander, statt des nothwendigen Premierministers neige man dazu einen Staatsrath zu schaffen. Die innere Lage erlaube natürlich nicht, nach aussen eine imponirende Stellung einzunehmen, die geeignet wäre, die politische Unabhängigkeit aufrecht zu erhalten, wenn sie angegriffen würde. Alle politischen Berechnungen basiren dort nach Metternich’s eigenen Aeusserungen auf der Verlängerung des Spanischen Krieges, der Frankreich hindere, an andere Unternehmungen zu denken. Ein solches politisches System sei natürlich nicht beruhigend; die einzige Art, den Spanischen Krieg zu benutzen, wäre, das Verhalten nach dieser Zeit vorzubereiten. Ewig würde er nicht dauern, die Lage der Franzosen in Spanien sei kritisch, aber sie dringen vor, und der Augenblick werde kommen, da die Eroberung wie auch immer vollendet sein würde und die Franzosen dort weniger Truppen brauchen würden.

Schon im November 1810 ist Humboldt der Ansicht[1], dass zwar der Kaiser und das Cabinet ruhig zu bleiben und den Frieden zu geniessen wünschen, den sie so nöthig haben; aber in einem Kriege zwischen Frankreich und Russland, in dem Oesterreich nicht neutral bleiben könnte, müsste es sich auf Seite Frankreichs stellen. Und diese so früh gebildete Ansicht hielt er stets fest, und die Ereignisse haben ihre Berechtigung bestätigt.

Aus seiner Abneigung gegen Russland machte Metternich dem Preussischen Gesandten gegenüber überhaupt kein Hehl, die Vergangenheit und der Türkenkrieg der Gegenwart gaben ihm Anlass genug dazu. Humboldt wollte auch den Versicherungen des Ministers, Oesterreich arbeite in Konstantinopel nicht gegen den Frieden, keinen Glauben schenken; er verstand durchaus, dass das Haupthinderniss einer Annäherung Oesterreichs an Russland der Mangel an Vertrauen in die Gesinnungen dieser Macht sei, erklärlich nach

  1. Bericht vom 3. u. 28. November. Im ersten sagt er ausdrücklich, Oesterreich werde selbst bei einer Allianz alles thun, um in Ruhe bleiben zu können.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1895, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1895_12_090.jpg&oldid=- (Version vom 24.5.2023)