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inneren Situation könne der Wiener Hof nicht daran denken, sich ernstlich dem Willen Frankreichs entgegenzustellen. Er könne höchstens seiner Willfährigkeit einige Abstufungen geben. Zwar würde Napoleon jetzt schwerlich Drohungen gegen Oesterreich gebrauchen oder gar sie verwirklichen; der Wiener Hof würde also seinen Forderungen mit einigem Erfolg widerstehen können, aber dann hat er zwei Dinge, die gleichmassig verderblich seien, zu fürchten, entweder dass Napoleon seine Neutralität nicht mehr respectire und mit seinen Truppen den Durchmarsch durch die Oesterreichischen Staaten erzwinge, oder dass er ihn nach Wiederherstellung des Friedens mit Russland seine Rache fühlen lasse. Galizien bleibe immer eine sehr prekäre Besitzung Oesterreichs, so lange das Schicksal des ehemaligen Polens nicht unwiderruflich festgestellt sei, und der Wiener Hof würde bei einer Unzufriedenheit Napoleons von dieser Seite alles zu fürchten haben. Aus alledem glaubt Humboldt, dass das Oesterreichische Cabinet die Forderung Napoleon’s, sich mit ihm zu alliiren, zuerst werde ablenken wollen, aber niemals den Widerstand bis zur Ablehnung treiben werde. Doch glaubt er, dass aus zwei Gründen Oesterreich nicht in den Krieg mit Russland gezogen werden würde: erstens würde man in Wien niemals aus vorzeitiger Furcht oder aus deplacirter Gefälligkeit den Wünschen Napoleon’s entgegenkommen. Selbst bei drängenden Forderungen werde man ziemlich ruhig bleiben, um nicht über die Grenzen hinauszugehen, bis zu denen die Umstände gebieterisch zwingen würden; und zweitens arbeite Metternich gewiss gegenwärtig daran, Forderungen, die gemacht werden würden, abzulenken, und da er eine grosse Geschicklichkeit besitze, zu temporisiren, und es mehr in seinem Charakter liege, negative Opposition zu machen als positiven und offenen Widerstand zu leisten, so könne man sich schmeicheln, dass ihm sein Versuch wenigstens bis zu einem gewissen Punkt gelingen würde. Er könne die innere Schwäche und die Ungarische Opposition anführen. Der andere Umstand, den man geltend machen könne, wende sich direct an die persönlichen Gefühle des Kaisers Napoleon; es sei für diesen ein ungeheurer Vortheil, dass er in dem Augenblick, da er voraussichtlich auf lange Paris und Frankreich verlasse, dort einen Thronerben und eine Kaiserin aus altem Hause zurücklasse. Auch eine frühere Erwägung kehrt wieder, dass Napoleon nie die

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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1895, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1895_12_112.jpg&oldid=- (Version vom 24.5.2023)