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Bei ihnen stand männliche Tüchtigkeit und kriegerischer Ruhm zu hoch, als dass man annehmen könnte, sie hätten sich nur Gaugrafen als Gefolgsleute angeschlossen. Und es ist doch auch zweifellos, dass die Eigenschaften, die man bei einem Recht sprechenden Gaugrafen voraussetzte, bei weitem andere waren als die, welche man von einem Gefolgsführer verlangte. Sollte thatsächlich dies dieselbe Person sein, welche durch weise Rechtsprechung die innere Wohlfahrt des Landes zu heben suchte und alle 14 Nächte zu Hause das Ding leiten musste und andererseits an der Spitze eines kecken, wagemuthigen Gefolges auf Ruhm und Beute auszog und sich sowie ihr Gefolge per bella et raptus (Germ. cap. 14 i. f.) zu erhalten strebte? Wohl kaum!

Mit der Annahme, dass nur Gaugrafen ein Gefolge haben dürfen, dass also das Gefolge gleichsam ein obrigkeitliches Institut sei, ist auch nicht recht vereinbar, was Tacitus über das innere Verhältniss von Gefolgsherrn zum Gefolgsmann sagt. Nach seiner Schilderung liegt hier ein fast ideales Freundschafts- und Treuverhältniss vor, der gegenseitige Anschluss stellt sich als ein rein persönlicher dar. Die Gefolgen opfern freudig ihr Leben für die Ehre ihres Herrn: seiner Tapferkeit nachzueifern, alles zu wagen, um den Sieg ihrem Herrn zu gewinnen und, wenn er fällt, ihn nicht zu überleben, sondern seinen Tod rächend auf derselben Wahlstatt zu sterben, darin zeigt sich die Treue der Gefolgen gegen ihren Herrn. Der Gefolgsherr seinerseits sorgt wieder in jeder Beziehung für seine Gefolgsgenossen: er rüstet sie aus mit Ross und Waffen, er theilt mit ihnen sein Haus und seine Mahlzeiten. Unmöglich konnte sich aber solch ein Verhältniss ausbilden, wenn der Gefolgsmann in seinem Herrn immer zugleich die obrigkeitliche Person sehen musste, wie dies der Fall gewesen wäre, wenn Gefolgsherr nur der Gaugraf sein durfte.

Wäre thatsächlich das Gefolge ein obrigkeitliches – neben dem Heere bestehendes – Institut, also eine Art Garde für die Obrigkeit gewesen, so hätte Tacitus dies sicherlich hervorgehoben. So wird aber nicht das geringste hiervon in der ganzen Germania erwähnt.

Dass die principes von cap. 13, die Gefolgsherren, nicht identisch sind mit den principes qui jura reddunt, mit den Gauoberen, das geht auf’s deutlichste aus dem Schlusssatz des cap. 13

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1895, Seite 336. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1895_12_336.jpg&oldid=- (Version vom 8.6.2023)