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Die Beugung der Tentakeln, wenn Blätter in eine dichte Flüssigkeit eingetaucht werden, und ihr späteres Sichwiederausstrecken, wenn sie in eine weniger dichte Flüssigkeit gebracht werden, zeigt, dasz der Übergang von Flüssigkeit aus oder in Zellen Bewegungen, ähnlich den natürlichen, verursachen kann. Aber die in dieser Weise verursachte Einbiegung ist häufig unregelmäszig; die äuszeren Tentakeln werden zuweilen spiral aufgedreht. Andere unnatürliche Bewegungen werden gleichfalls durch Anwendung dichter Flüssigkeiten verursacht, so in dem Falle, wo Tropfen dicker Zuckerlösungen auf die Rückseite von Blättern und Tentakeln gebracht werden. Derartige Bewegungen können mit den Verdrehungen verglichen werden, welche viele pflanzliche Gewebe erleiden, wenn sie der Exosmose ausgesetzt werden. Es ist daher zweifelhaft, ob sie irgend welches Licht auf die natürlichen Bewegungen werfen.

Wenn wir annehmen, dasz der Austritt von Flüssigkeit aus Zellen die Ursache der Beugung der Tentakeln ist, so müssen wir auch annehmen, dasz die Zellen vor dem Acta der Einbiegung sich in einem hohen Grade der Spannung befinden und dasz sie in einem ganz auszerordentlichen Grade elastisch sind; denn im anderen Falle könnte ihre Zusammenziehung nicht verursachen, dasz sich häufig die Tentakeln durch einen Winkel von mehr als 180° bewegen. Professor Cohn gibt in seinem interessanten Aufsatze[1] über die Bewegungen der Staubfäden gewisser Compositen an, dasz diese Organe, wenn sie abgestorben sind, so elastisch wie Fäden von Gummi elasticum sind und dasz sie dann nur halb so lang sind wie sie waren, als sie noch lebten. Er glaubt, dasz das lebende Protoplasma innerhalb ihrer Zellen sich gewöhnlich in einem Zustande der Ausdehnung befindet, dasz es aber durch Reizung gelähmt wird oder, wie man sagen kann, zeitweiligen Tod erleidet; es kommt dann die Elasticität der Zellwandungen in's Spiel und verursacht die Zusammenziehung der Staubfäden. Nur scheinen die Zellen auf der oberen oder concaven Seite des sich biegenden Theils der Tentakeln von Drosera sich nicht in einem Zustande der Spannung zu befinden, auch nicht in hohem Grade elastisch zu sein; denn wenn ein Blatt plötzlich getödtet wird oder langsam stirbt, so sind es nicht die oberen, sondern die unteren Seiten der Tentakeln,

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Charles Darwin: Insectenfressende Pflanzen. Stuttgart 1876, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Darwin_Insectenfressende_Pflanzen_232.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)

  1. Abhandlungen der Schlesischen Gesellsch. für vaterländ. Cultur, 1861. Heft 1. Ein ausgezeichneter Auszug aus diesem Aufsatz ist in den Annals and Magazine of Nat. Hist., 3. Ser., 1863, Vol. XI, p. 188-197 gegeben.