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es wahrscheinlich, dasz dieses letztere Vermögen die erste Stufe zur Entwickelung wirklicher Verdauung bildet. Es könnte sich indessen unter gewissen Bedingungen ereignen, dasz eine Pflanze, nachdem sie die Verdauungsfähigkeit erlangt gehabt hatte, zu einer solchen rückschreiten könnte, welche nur das Vermögen besäsze, animale Substanz in Lösung oder im Zustande des Zerfallens, oder die endlichen Zersetzungsproducte, nämlich die Ammoniaksalze, zu absorbiren. Es möchte scheinen, als sei dies factisch in einer gewissen Ausdehnung bei den Blättern der Aldrovanda eingetreten; die äuszeren Theile derselben besitzen absorbirende Organe, aber keine zur Absonderung irgend einer verdauenden Flüssigkeit eingerichtete Drüsen, während solche auf die inneren Theile beschränkt sind.

Nur wenig Licht kann über das allmähliche Erlangen der dritten merkwürdigen Eigenthümlichkeit, welche die höher entwickelten Gattungen der Droseraceen besitzen, verbreitet werden, nämlich über das Vermögen, sich zu bewegen, wenn sie gereizt werden. Man musz indessen im Sinne behalten, dasz Blätter und deren Homologa, eben sowohl wie Blüthenstiele, diese Fähigkeit in unzähligen Beispielen unabhängig von einer Vererbung von einer gemeinsamen elterlichen Form erhalten haben: so z. B. bei Rankenträgern und Blattkletterern (d. h. bei Pflanzen, deren Blätter, Blattstiele und Blüthenstiele u. s. w. zur Ergreifung modificirt sind), die zu einer groszen Zahl der allerverschiedensten Ordnungen gehören, – bei Blättern der vielen Pflanzen, welche des Abends, oder wenn sie erschüttert werden, einschlafen, – und bei den reizbaren Staubfäden und Pistillen nicht weniger Species. Wir können daher schlieszen, dasz das Bewegungsvermögen auf mehrfache Weise leicht erlangt werden kann. Derartige Bewegungen setzen Reizbarkeit oder Empfindlichkeit voraus; wie aber Cohn bemerkt hat[1], weichen die Gewebe der in solcher Weise begabten Pflanzen in keiner irgendwie gleichförmigen Weise von denen gewöhnlicher Pflanzen ab, es ist daher wahrscheinlich, dasz alle Blätter in einem unbedeutenden Grade reizbar sind. Selbst wenn sich ein Insect auf ein Blatt niederläszt, wird eine unbedeutende moleculare Veränderung wahrscheinlich eine Strecke weit quer durch sein Gewebe fortgeleitet, mit dem einzigen Unterschiede, dasz keine wahrnehmbare

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Insectenfressende Pflanzen. Stuttgart 1876, Seite 328. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Darwin_Insectenfressende_Pflanzen_328.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)

  1. s. den Auszug aus seiner Abhandlung über die contractilen Gewebe der Pflanzen, in den "Annals and Mag. of Nat. Hist." 3. Series. Vol. XL p. 188.