Trotzdem traf sie ihn bei der Verlobungssoireé bei Kannenbergs, tanzte mit ihm und ließ sich verehren.
Der junge Mann, der glaubte in Gnaden wieder aufgenommen zu sein, wurde wieder mutig. Aber sie hörte ihn nicht an, war mit ihren vom Fieber des langen Wartens erregten Gedanken abwesend.
Die Tage vergingen.
Jetzt festigte sich in ihr der Entschluß, sich Fernand hinzugeben, weil sie erkannte, wie unentbehrlich er ihr war. Vielleicht glaubte sie so seinen Bestürmungen ein Ende zu machen und ihre Verachtung moralischer Bedenken ließ sie durch diese Bekräftigung ihrer Freiheit vor sich selbst höher erscheinen.
Stella hatte Alice nicht wieder gesehen; sie fürchtete jetzt, sich auf ein Terrain zu begeben, auf dem sie nicht sicher war, daß sich wie sie wußte, verändern konnte. Endlich erhielt sie Nachricht von der Präfektur: „Komme schnell, meine Liebe. Habe dir eine große Neuigkeit mitzuteilen.“
Stella eilte hin.
„Was für eine Nachricht? Ist das Baby zur Welt gekommen? Das ist aber unmöglich. Es wäre noch zu früh.“
Marie Tihanyi Sturza: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Arthur Cavael, Leipzig 1905, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Das_Geluebde_einer_drei%C3%9Figj%C3%A4hrigen_Frau_Sturza.djvu/253&oldid=- (Version vom 31.7.2018)