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Das sollte ihm aber zum Glück gereichen, denn die Prinzessin ließ ihrem Vogel Nichts zu leide thun, sondern hing ihn in einem schönen Bauer in ihrer eignen Schlafkammer auf. Die Nacht nun, da sie im Bette lag und schlief, flog er als Biene durch das Käfichtgitter, trat dann in Menschengestalt zu ihrem Lager und umarmte und küßte sie auf ihren rothen Mund. Die Königstochter fuhr aus dem Schlaf empor und schrie nach Hülfe – doch bis der alte König mit seinem Hofstaat hereingelaufen kam, saß er schon wieder als Falk in seinem Bauer, hatte den Kopf unterm Flügel und that, als ob er schliefe, also daß der König glaubte, die Prinzessin hätte nur geträumt und sie tüchtig ausschalt wegen ihrer Aengstlichkeit.

Kaum waren die Anderen wieder weg, so wünschte er sich wieder zur Biene, kroch aus dem Käfig und trat als Mann zu der Königstochter und küßte sie wiederum. Anfangs wehrte sie sich seiner, getraute aber nicht zu schreien; bald jedoch, als sie merkte, daß er ihr Nichts zu Leide that, wurden sie eins miteinander und blieben wonneseelig beisammen bis zum Morgen.

Also war er heimlich mit der Prinzessin vermählt und lebten sie zusammen fast ein Jahr lang, ohne daß Jemand im Hause dessen gewahr wurde. Endlich trug es sich zu, daß die Prinzessin einen Knaben gebar und nun war die Sache freilich nicht mehr zu verheimlichen. Sie gestand ihrem Vater Alles. Der König war Anfangs sehr erzürnt, doch was war noch zu machen?

Es war zu spät, um es zu andern, also gab er seinen Segen

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Johann Wilhelm Wolf: Deutsche Hausmärchen. Göttingen und Leipzig 1851, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Deutsche_Hausm%C3%A4rchen_084.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)