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Von der schönen Schwanenjungfer.

In Frankreich war ein junger Jägerbursch, der war der beste Schütze weit und breit, aber an einem Tage ging er bis zum Abend im Wald herum und konnte nicht zum Schuß kommen. So kam er endlich mitten in der Wildniß an einen großen schönen See, darauf schwamm ein Schwan, blank und silberweiß wie er noch keinen gesehen hatte. Er legte rasch seine Armbrust an und zielte auf den Vogel, da rief eine Stimme: „Schieß nicht, sonst kostet es dich dein Leben!“ Er erschrak und setzte ab, besann sich aber kurz und legte wieder an; doch zum andern Male rief es: „Schieß nicht, sonst kostet es dich dein Leben!“ Er ließ nochmals die Armbrust sinken, legte aber dann zum dritten Male an und dachte: diesmal schieß' ich drauf, mag rufen wer da will. Aber noch ehe er geschossen hatte, schwamm auf ein Mal statt des Schwanes eine wunderherrliche Jungfrau auf dem Wasser, die sprach zu ihm: „Du wirst mich erlösen und glücklich sein, wenn du ein Jahr lang alle Sonntage ein Vaterunser für mich betest und nie von meiner Schönheit sprichst.“ So sprach sie und verschwand; der Jägerbursch aber ging verwundert nach Haus und sprach von dem Tag an alle Sonntage ein Vaterunser für die Schwanenjungfer.

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Johann Wilhelm Wolf: Deutsche Hausmärchen. Göttingen und Leipzig 1851, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Deutsche_Hausm%C3%A4rchen_217.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)