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zu zerreißen und zu fressen. Der Schneider war mehr todt als lebendig, indem er ihr so zusah, wie sie dem einen Todten ein Bein abfraß und dem andern einen Arm und die Stücke in der Kammer herumwarf. Als es aber zwölf Uhr schlug, stieg die Prinzessin wieder in ihren Sarg, der Deckel klappte über ihr zu und Alles war vorbei. Der Schneider stieg jetzt auf und stellte sich auf seinen Posten neben den Sarg. Des andern Morgens in aller Frühe kam der König mit dem ganzen Hofstaat herausgefahren, freute sich gar sehr, daß der Schneider noch lebte und nahm ihn in seiner eignen Kutsche mit nach Haus. In die Kapelle ließ er aber das allerbeste Essen aus der Schloßküche und ein ganzes Faß voll Wein bringen, damit der Schneider in der folgenden Nacht sich daran stärken könne. Dem wurde es aber doch ganz bang zu Muth, als es dunkel wurde und er wieder hinaus mußte. Wenn du dießmal hingehst, frißt sie dich gewiß! dachte er, als er vor dem Thor draus war und machte rechtsum und lief fort, dießmal aber einen ganz andern Weg, damit ihm das Männchen nicht begegnen sollte. Wer ihm aber doch begegnete, das war das Männchen. „He! guter Freund!“ rief es ihm auf einmal zu, „wohinaus so eilig?“ Da sprach der Schneider, dießmal gehe er nicht mehr hin, und wenn er hundertmal König werden und hundert Prinzessinnen heirathen sollte. Das Männchen sprach ihm aber gar freundlich zu, er habe jetzt die Hälfte schon vollbracht und brauche nur noch die eine Stunde auszuhalten, er wolle ihm ja sagen, wie er sich anstellen müsse, damit ihm an Leib und Leben Nichts geschehen könne. Der Schneider

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Johann Wilhelm Wolf: Deutsche Hausmärchen. Göttingen und Leipzig 1851, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Deutsche_Hausm%C3%A4rchen_260.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)