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er auch Verstand,“ dachte der Bauer und ging Nachmittags aus, um einen Text zu seiner Predigt zu suchen. Da kam er an ein Wasser, worauf ein Korb schwamm und er sprach: „Halt, da habe ich schon eins, das ist Corpum.“ Dann kam er an eine Wiese, worauf eine Kuh Klee fraß. „Es geht gut,“ sprach er, „das ist also Corpum Kuhkleeum.“ Dann kam er auf den Weg, wo eine alte Frau saß. „Jetzt hab ich den Text,“ sprach er; „Corpum Kuhkleeum diealta Mameum.“ Ging nach Hause zurück, ließ vier Zimmerleute kommen, die mußten den andern Morgen vor der Predigt auf den Boden gehn jeder mit einer Axt. Was sie da zu thun hatten, sagte er ihnen ins Ohr.

Morgens als die Gemeinde in der Kirche saß, bestieg er die Kanzel und sprach: „Meine lieben Zuhörer, jetzt fange ich meine Predigt an, deren Text ist schon so kräftig, daß Holz und Stein in der Kirche sich darüber erbarmen und krachen und bersten vor lauter Rührung und ihr alle werdet weinen und jammern, als wenn das jüngste Gericht anbräche.“ „Ah das ist einmal ein Prediger für uns“ sagten die Bauern einer zum andern, als sie husteten und sich schneuzten. „Der versteht's.“ Jetzt fuhr der Pfarrer fort: „Mein Text lautet aber also: Corpum Kuhkleeum.“ Da schlugen zwei Zimmerleute mit ihren Aexten wider die Decke, daß es Kalk und Lehm regnete. „Die alta Mameum!“ schrie der Pfarrer weiter und da handhabten sie die Aexte alle vier, so daß große Stücke von der Decke herniederfielen und die Bauern alle aus der Kirche flohen, denn sie glaubten nicht anders als sie stürze ein. Er aber ging zufrieden nach Hause.

Empfohlene Zitierweise:
Johann Wilhelm Wolf: Deutsche Hausmärchen. Göttingen und Leipzig 1851, Seite 434. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Deutsche_Hausm%C3%A4rchen_434.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)