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unterscheidender Empfindlichkeit an die unteilbare Gewalt der Weibersinne zu legen. Aber das Weib trägt die moralischen und ästhetischen Begriffe, die der Mann ihr spendet, wie jeden andern Schmuck, durch den sie sich begehrlich macht. Der Tragiker, der Narren und Schelmen die Erkenntnisse zuschieben muß, die eine Lügenwelt sprengen könnten, läßt seinen irren König die Tugend als Köder der Lust entlarven:

Sieh dort die ziere Dame,
Ihr Antlitz weissagt Schnee in ihrem Schoß;
Sie spreizt sich tugendlich und dreht sich weg,
Hört sie die Lust nur nennen:

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Und doch sind Iltis nicht und hitz’ge Stute

So geil in her wilden Brunst,
Vom Gürtel nieder sinds Centauren,
Obschon darüber Weib.
Nur bis zum Gürtel eignen sie den Göttern,

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Alles darunter ist des Teufels Reich,

Dort ist die Hölle, dort die Finsternis,
Dort ist der Schwefelpfuhl, Gestank, Verwesung...
Gib mir ’ne Unze Bisam, Apotheker,
Meine Phantasie zu versüßen!

Aber die Phantasie selbst ist Bisam, der den männlichen Verstand versüßt und ohne den er es nicht zu Ende denken kann, daß das Weib aus dem Schwefelpuhl sich

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Karl Kraus: Die Chinesische Mauer, Leipzig 1914, Seite XX. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Chinesische_Mauer_(Kraus)_12.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)