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wenn ihre Sinne hungrig sind. Blaustrümpfe mögen sich der Überzeugung freuen, daß die freiere Fasson der amerikanischen Frau der Grund ihrer Zügellosigkeit ist, und daß der deutsche Mann davor sicherer wäre, vom Chinesen betrogen zu werden. Aber in allen Städten, in denen dunkle Truppen ihre Zelte aufschlugen, haben sich brave Bürger eines Familienzuwachses erfreut, den sie ihr Leben lang mit mischfarbigem Gefühl besahen. Der Eindruck, den die andere Rasse im plastischen Ton des andern Geschlechts, in der immer formwilligen Sexualität des Weibes erzeugt, ist so mächtig, daß es leiblicher Vermischung nicht bedarf, um auf einen lichten Stamm ein dunkles Reis zu pfropfen. Die rohe Riesenstatue eines Chinesen, um die sich ein Ringelspiel dreht, könnte zur Erklärung ausreichen, warum mancher Wiener Schusterbub mit Schlitzaugen auf die Welt kam. Und wenn es nur ein Symbol ist, daß sich die Lust um den Chinesen dreht, so schreckt es am heiligen Sonntag die weißen Männer aus dem Weltprater. Der gigantische Hohn, dessen nur die rachsüchtige Natur fähig ist, hat diesen Anschluß des Weibes an das verachtete Blut befehligt. In dem Wäscherladen von Chinatown werden in einer stummen Stunde alle Menschheitsfragen laut: Geschlecht und Rasse paaren sich zu weltproblematischem Grauen.

Aber der weiße Mann, der seine Frau sucht, entdeckt noch, daß sie ihm die Religion mitgenommen hat, als sie

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Karl Kraus: Die Chinesische Mauer. Leipzig 1914, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Chinesische_Mauer_(Kraus)_21.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)