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sollen, vor kurzem zu Ohren gekommen waren. Aber bald sah ich, welch andere Sorgen ihn bedrückten. Sorgfältig wie ein Vater hüllte er Sie in den Mantel und begrüßte mich mit einer Herzlichkeit, die ich nicht begriff, – hatten wir uns doch mehr als fern gestanden.

„Wie freue ich mich Ihrer Anwesenheit“, versicherte er mir immer wieder. Als ich dann mit ihm allein war, kannte ich ihn vollends nicht mehr: Die Angst um Sie ließ ihn jede Form vergessen; ich sah plötzlich einen Menschen, wo ich bisher nur einen vollendeten Aristokraten gesehen hatte. Er bat mich, Ihnen Gesellschaft zu leisten, Sie zu zerstreuen, Sie den Interessen des Pariser Lebens wieder zuzuführen.

Hätte es eine schönere Aufgabe für mich geben können? Sie wissen, mit welchem Feuereifer ich sie auf mich nahm, aber Sie ahnen nicht, wie sich an jedem Blutstropfen, der langsam in Ihre Wangen stieg, wenn ich meine Redekunst, meinen Witz, meine Phantasie anpeitschte wie der Reiter das Rennpferd, die Glut meines Herzens neu entzündete, wie jeder Schatten eines Lächelns, der Ihre Lippen teilte, alte, unerfüllte Wünsche stürmisch in mir aufsteigen ließ.

Eine Order des Kriegsministers, so sagte ich Ihnen, verlange meine Rückkehr nach Paris. Ich habe gelogen; ich wollte sogar die Lüge aufrecht erhalten. Erst jetzt, wo ich fern von

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Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/260&oldid=- (Version vom 31.7.2018)