Seite:De Die demolirte Literatur Kraus 05.jpg

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Es sind verwegene, ungestüme und verworrene Triebe, die drängen. Aber der zuversichtliche Gestalter des intimen Erlebnisses, das Kunst verlangt, setzt sich bald durch. Und nun die Darstellung. Da will Vieles nicht. Manches gelingt. Die Sandrock war wieder ein köstliches Wunder an reiner Kraft und Schönheit. Aber ihre fürstliche Kunst war allein. Nur Herr Nhil darf sich noch an ihr messen, allenfalls auch der sicher wachsende Giampietro und Tewele, wenn er sich die Nase abgewöhnen möchte. Bei den Anderen musste ich an Iglau denken, dort, wo es schon Leitomischl ist. Es war schändlich und beleidigend. Freilich fehlt die Regie. Künstlerische Triebe zerfahren. Ein besserer Tapezierer und Kadelburg kann nicht helfen. Die sichere Weise des spitzen Martinelli wäre da mehr am Platze gewesen, seine nachdenkliche und wägende Technik, die trifft. Herr Kutschera lässt als Gigerl seine Helden vergessen. Fräulein Hell, die immer so heult, werde ich nie vergessen und verwinden können. Darum spielen sie jetzt auch die junge, begabte Bauer gegen die ältere Collegin aus, jenes liebe, blasse Mädchen, das rührt.

Aber wie Herr Broda den Moritzky gab, muss man sehen. Ganz Wien sollte hin. Das ist über den Spanier Vico und den Holländer Boomeester etwas ganz Neues, wie er in diesen Moritzky hineinkriecht, ohne Rest. Er gab die Erlösung und Weihe des Abends. Es ist ein halber Kainz in ihm und eine heimliche Duse. Mir fehlen die Worte. Aber man müsste die Formel suchen für die vagen und wirren Empfindungen um das grosse Unerhörte der Kunst des Broda.“

In jedem seiner Referate ergoss sich eine Sturzfluth neuer Eigennamen ins Land. Die Kunstgrössen, die er einführte, waren einzig und allein ihm dem Namen nach bekannt; oft hatte er sie von spanischen Theaterzetteln oder gar portugiesischen Strassentafeln abgelesen. Noch heute versteht er es, uncontrolirbaren Thatsachen den Schein des Erlebten zu geben, Dinge, die er gerade anbringen will, tiefursächlich zusammenzuhängen. Es ist – um in seinem Stil mit Goethe zu sprechen – ein ungemeiner Zettelkasten, den nicht er, sondern der ihn hat.

Als Kritiker hatte er bald die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Er interessirte. Mochte man auch nicht immer mit dem Ton einverstanden sein, man sagte sich doch, da ist Einer, der Klärung bringt, der, auf das Unverständniss Anderer nicht angewiesen, jederzeit sein selbstständiges Vorurtheil hat. Der

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Karl Kraus: Die demolirte Literatur. Wien: Wiener Rundschau, 1897, Seite 273. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_demolirte_Literatur_Kraus_05.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)