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entfliehen. Eines der wichtigsten Schlagworte aber war „Das Leben“, und allnächtlich kam man zusammen, sich mit dem Leben auseinanderzusetzen oder, wenn’s hoch ging, das Leben zu deuten.

Die ganze Literaturbewegung einzuleiten, die zahlreichen schwierigen Ueberwindungen vorzunehmen, nicht zuletzt, dem Kaffeehausleben den Stempel einer Persönlichkeit aufzudrücken, war ein Herr aus Linz berufen worden, dem es in der That bald gelang, einen entscheidenden Einfluss auf die Jugend zu gewinnen und eine dichte Schaar von Anhängern um sich zu versammeln. Eine Linzer Gewohnheit, Genialität durch eine in die Stirne baumelnde Haarlocke anzudeuten, fand sogleich begeisterte Nachahmer – die Modernen wollten es betont wissen, daß ihnen der Zopf nicht hinten hing. Alsbald verbot der verwegene Sucher neuer Sensationen aus Linz seinen Jüngern, von dem „Kaiserfleisch des Naturalismus“ zu essen, empfahl ihnen dafür die „gebackenen Ducaten des Symbolismus“ und wußte sich durch derlei zweckmässige Einführungen in seiner Position als erster Stammgast zu behaupten. Seine Schreibweise wurde von der literarischen Jugend spielend erlernt. Den jüngsten Kritikern öffnete er die Spalten seines neugegründeten Blattes, welches allwöchentlich den Bahnbrecher und seine Epigonen in engster Nachbarschaft sehen liess und noch heute eine nur durch die Verschiedenartigkeit der Chiffren gestörte Styleinheit aufweist. Damals, als er noch nicht die abgeklärte Ruhe des weimarischen Goethe besass, war es für die Anfänger noch schwer, ihm durch das Gestrüpp seines seltsam verschnörkelten und kunstvoll verzweigten Undeutsch zu folgen. Heute, wo er Goethe copirt, findet er die meisten Nachahmer, und kaum einen seiner Schüler gibt es, der um den Unterschied zwischen einem „Kenner“ und einer „Menge“ verlegen wäre.

Hier eine der Wirklichkeit nahekommende Stylprobe aus der Zeit, da die französirende Art des Meisters noch nicht mit Goethe’schen Sprachelementen durchsetzt war. Ueber das Werk eines Griensteidl-Gastes und seine Aufführung im „Deutschen Volkstheater“ mag er sich etwa geäussert haben:

„Es ist, je öfter man in dieses „Deutsche Volkstheater“ – mit den Anführungszeichen um jeden Preis – hineingeht, ein gewaltsamer Aerger über die Darstellung, über diesen Herrn Kadelburg mit der Elegance vom Tapezierer und über dieses Publikum mit den Ansichten vom Wurstelprater. Man kennt den Schnitzler. Ich

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Karl Kraus: Die demolirte Literatur. Wien: A. Bauer, 1899, Seite 279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_demolirte_Literatur_Kraus_25.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)