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sich reden machte, konnte er auf zahlreiche Misserfolge als bildender Künstler hinweisen. An ihm zerschellt jenes bekannte Witzwort, das noch Alle, die zwei Beschäftigungen in einer Hand vereinigen wollten, glücklich getroffen hat: die Schriftsteller wissen nämlich schon, dass er kein guter Maler, und die Maler täuschen sich nicht mehr darüber, dass er kein guter Schriftsteller ist. Der Letztere bezog lange Zeit hindurch seinen Styl aus Linz, von wo ja bekanntlich seit einigen Jahren alle literarischen Reformversuche ihren Ausgang nehmen. Die Gewalt, die er bereits nach kurzer Schulung der deutschen Sprache anthat, war eine unvergleichliche. Wenn es fremdländische Eigennamen in deutscher Satzverrenkung darzubieten galt, beschämte er den Meister. Einige seiner Perioden werden ihm unvergessen bleiben. Die Sensation einer Ehescheidungs-Affaire und des flammenden Protestes, den die Heldin gegen ihre Verfolger publicirt hatte, erreichte erst den Höhepunkt, als unser Schriftsteller zur Feder griff und die erlösenden Worte niederschrieb: „Das Processgebäude, über welches sie sich ergeht, hing lange Jahre wie das Schwert des Damokles über dem Haupte der Verfolgten“. Ein kleiner Artikel zu Hanslick’s siebzigstem Geburtstage – und die gesammte Auflage seines Blattes war vergriffen. Hanslick, schrieb er damals, sei „in Prag geboren, früh auf den Spuren seiner Zukunft“ gewesen. Den Feuilletonisten rühmte er also:

Des flüchtigen Blattes Theilung, wo der Geist sich von der sorgenvollen Schwere des Leitartikels, von den ernsten Dingen der Politik erholen, in schönen Gefilden wandeln und sich belehrend erfreuen soll können, bietet, wenn er die Feder führt, in reichlicher Münze das, wozu unter dem Striche der ersten Zeitungsseite das Feuilleton erschaffen ist. Und wenn man sagen sollte, wie es denn sei, dass es gerade von ihm das richtige wäre, wo all die tausend Schreiber mit dem lustigen Worte zur langweiligen tödtlichen breitgequatschten Sache Frevel und Missbrauch treiben, so hielte es schwer im Vergleiche.

Aus einer impressionistischen Beschreibung des Leichenbegängnisses eines hohen Herrn:

Gell und grauenhaft steigen Hilferufe auf; ich sehe Körper auf der Strasse liegen und Menschenfüsse sie fast zertreten. Ich sehe Kinder mit entsetzensvollem Ausdruck. Warum man doch immer gerade Kinder mitnimmt ins Gedränge? Warum man der Säuglinge kleine zitternde Körper nicht schont und in die ersichtliche Gefahr des Erdrücktwerdens bringt? …

In den Zweigen der Bäume hängen Buben und Männer. Vergebens sucht man sie zu vertreiben. Immer wieder klettern sie hinauf. Selbst am

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Karl Kraus: Die demolirte Literatur. Wien: A. Bauer, 1899, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_demolirte_Literatur_Kraus_40.jpg&oldid=- (Version vom 10.11.2018)