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Aelpler diese Wildniß zu erstaunlich gewesen seyn, da er ihr ohne Rückhalt jenen Namen gab, der seinen Muth zu beschämen scheint. Ein enger steiler Bühel, auf dem die Kirche, der Pfarrhof und das Wirthshaus stehen, auf einer Landzunge zwischen lauten Bergwassern die in tiefen Tobeln rauschen, grausige Wände, die aus diesen abgeschrofft emporsteigen bis zu den Schneefeldern, die einem fast übers Haupt herein hängen; oben an den Fernern, weit über der Gemsenheimath, prächtige Wasserfälle die überstürzend ins Thal fallen, deren Donner man hören müßte, wenn ihn nicht der Lärm der nähern Bäche überschriee; in der Höhe überall Zerrissenheit und Zerklüftung, Schnee und Eis, unten in der Schlucht enge waldige Wildniß – das ist der Schrecken. Unter allen Landschaften die in den Tiroleralpen zu sehen sind, ist keine bewohnte, die es ihm an schauerlich wilder, beängstigender Schönheit gleich thut.

Wer hier im Sommer die rings aufstarrenden Bergwände betrachtet, der kann sich auch die Schrecken der Lawinen im Winter denken; viele Tausende gehen donnernd nieder und zerfließen in der Frühlingssonne ohne Gefährde für ein Menschenleben, aber zuweilen kommt eine herab die Trauer und Jammer in den Schrecken bringt. Vor fünf Jahren wurden zwei Kinder „verlauwenet" die eben auf dem Weg zur Schule waren; manches Andern Gedächtniß der unter der Lauwene*)[1] seinen Geist aufgab, ist schon längst verklungen, aber noch erinnert man sich an den leidvollen Tag im Jahr 1636, wo dreizehn Kirchgänger vom Schneesturz gepackt, in den Abgrund geschleudert und nur leblos wieder ausgegraben wurden. Damals war noch kein Gotteshaus in dieser Wildniß, nun aber thaten sich die Leute des Schreckens zusammen und stellten eine Kirche her.


  1. *) Lauwene ist das alemanische Wort, Lahne sagen die Tiroler. Auch Lavine ist ursprünglich deutsch (Albert Schott, die deutschen Colonien in Piemont S. 313 und Schmeller bayerisches Wörterbuch 2. 406) und wäre demnach Làwine zu sprechen oder wohl auch Lauène zu schreiben, da es von lau herkommt.
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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol, München 1846, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_044.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)