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die nicht auf das Maß sahen, sondern auf die Güte. Alte langhergebrachte Rebordnungen machten solche ehrenhafte Nutzung fast gesetzlich, und so kam es, daß der Wein aus den besten Lagen in Flaschen abgezogen kistenweise nach Augsburg gesandt wurde, wo man ihn dem Burgunder gleich hielt. Allmählich sind ergiebigere, aber weniger edle Trauben an die Stelle gesetzt worden, und daher hat die Menge des Erzeugnisses sehr zugenommen, aber der Ruf ist verloren gegangen, wenigstens der Ruf der Trefflichkeit, denn der der Gesundheit ist ihm geblieben. „Er macht heiter, sagt Weizenegger, und verursacht keine Kopfbeschwerden." Die Bodenweine, die in der Ebene wachsen, stehen den Bergweinen weit nach.

Endlich knarrten die rostigen Angel an der Thüre von St. Martin und wir traten aus der grünen Landschaft in die uralte Kirche mit altdeutschen Altären und Wandgemälden, fast ergriffen durch den alterthümlichen Eindruck. Alle Wände sind bis oben hinauf voll Malereien, darunter freilich auch manche, wie die des Gewölbes, aus neuerer Zeit und von schlechter Ausführung. Zur linken Seite des Hochaltars ist eine Tafel mit dem Heiland und den zwölf Aposteln, lauter Porträten, zum Theil sehr derben Gesichtern. Daneben steht ein altes Sacramenthäuschen. Auch die Kirchenstühle in ihrer ärmlichen Einfachheit verrathen eine weit zurückliegende Zeit.

Von da zogen wir auf die waldige Felsenecke zu, die in steilen Wänden an der Landstraße endet und zum hangenden Stein genannt wird, einem tafelförmigen Felsblock zu Ehren, der überhängend auf einem Schafte liegt, welcher durch Zerklüftung des Gesteins, das ihn ehemals mit dem Hauptstocke verband, zum freistehenden Pfeiler geworden ist. Wenn man diese Enge durchschritten hat, so öffnet sich das Thal von Bludenz, dessen Thürme über einem Hügelvorhang aufragen. Zur Linken liegt das große Dorf Nüziders und ober diesem sind aus Weinbergen auftauchend die braunen, grünbewachsenen Mauerreste der Burg Sonnenberg zu gewahren. Im Dorfe selbst ist die Kirche in griechischem Styl neuhergestellt worden, wie mir bedünkt, nicht zu ihrem Vortheile.


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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol, München 1846, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_114.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)