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verspätete Fremde über Nacht behalten habe. Dem Rathe folgend, ging ich, als die Kirche des innern Berges erreicht war, auf das hölzerne Haus zu, das daneben stand und trat ein. Ein Frauenzimmer in der Tracht des Thales kam mir entgegen, und fragte was ich begehre. Darauf gab ich zur Antwort: eine Nachtherberge. Sie maß mich von Fuß zu Kopf und umgekehrt, schaute mir wiederholt ins Gesicht und sagte: der Herr ist nicht daheim und hier ist auch kein Wirthshaus. Ich erwiederte darauf: es wäre nicht das erstemal, daß ich von menschenfreundlichen Geistlichen über Nacht behalten worden, wogegen sie den Bescheid gab: das ist hier nicht der Brauch; geht nur wieder eurer Wege.

Damit also ging ich auch wieder meiner Wege und zwar so rüstig als ich konnte und als es der Pfad, der immer mehr in die Höhe stieg, erlaubte. Das Kirchlein auf dem Christberg lag noch weit oben an dem Kamm in einer grünen Matte, auf welche die letzten Strahlen der Abendsonne fielen. Diesen blickte ich von jetzt an mit Besorgniß nach wie sie allmählich von der grünen Halde wegzogen und den rothen Schrofen hinauf glitten, der zur Rechten stand, bis nur mehr die oberste Spitze des Felsens feurig erglänzte, dann auch diese verglomm und zu gleicher Zeit die Abendglocke vom Christberg hernieder tönte. Jetzt kam auch die Dämmerung ungerufen aus dem Thal herauf, und als ich endlich das kleine Kirchlein, das mir so lange als Richtziel vor Augen gestanden, und das hölzerne Häuschen dabei, erreicht hatte, war es hier auf der Höhe schon mehr Zwielicht als Tag, im Thale unten aber völlige Nacht. Der Grat des Berges schien nur mehr wenige Schritte entfernt, aber jenseits mußte es bodenlos tief hinuntergehen in das Thal von Talaas – so viel war noch aus der Landkarte zu entnehmen. In finsterer Nacht da durch den Wald auf jähem Steige mutterseelenallein abwärts zu trippeln, das dünkte mir nun allerwege nicht geheuer, und so meinte ich, es wäre wohl sicherer bei dem Meßner zu bleiben. Ging also auf das Häuschen zu, schob das Fensterchen zurück und rief hinein, worauf aber Niemand antwortete, als ein schreiendes Kind. Als ich nun in die Hütte selber trat und die Thüre der

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol, München 1846, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_119.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)