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Die unglücklichen Kriegsjahre von 1796 bis 1814 rüttelten gewaltig an dem neu erworbenen Wohlstande. Die Zahl der Armen und Nothleidenden nahm bedenklich zu, und als man sich wieder erholt hatte, fand man für den Verlust alter Treue, Redlichkeit, Genügsamkeit, hochherzigen Muthes in Gefahren des Vaterlandes, einer gesunden und kräftigen Jugend – nur Geld und wieder Geld.

So weit Weizenegger. Das Gemälde ist nicht sehr schmeichelhaft, aber wir wollen es den Vorarlbergern überlassen, sich gegen ihren Landsmann zu vertheidigen. Immerhin kommen wir auf die oben geäußerte Ansicht zurück, daß ein kränkliches Alter die Augen des ehrenwerthen Priesters verdüstert haben mag. Was ferner nicht außer Acht zu lassen, ist, daß Weizenegger hier nur die Zustände bespricht, wie sie sich in den Fabrikdistricten, also in den Gegenden am Rhein gestalteten, während er weniges sagt, was auch die andern Vorarlberger, die Leute im Bregenzerwald, in den Walserthälern und im Montavon auf sich beziehen könnten. Darum mag es erlaubt seyn noch einiges hinzuzusetzen und dabei auch diese Völkerschaften etwas in Betracht zu ziehen.

Was die Vorarlberger insgesammt auszeichnet, ist ein ausgebildeter Verstand, der seine Freude daran hat Alles zu würdigen und zu wägen, zu untersuchen und zu entscheiden. Daher die Streitsucht, die Weizenegger seinen Leuten vorwirft, daher aber auch viel Geschick für ein Fortkommen in der Welt, viel Gewandtheit und Selbstvertrauen. Insbesondere ist das Verhalten gegen die Obrigkeit in Vorarlberg sehr verschieden von dem tirolischen Wesen. Dort scharfe Kritik, Widerspruchsgeist, viel eigensinniges Wollen und Trachten, aber falls man auf einen Zweck hinarbeitet oder wenn bei entgegenstehenden Vorurtheilen die Belehrung durchgedrungen, treffliches, Verständniß und leichtes förderliches Zusammenwirken; in Tirol – vorzüglich in den Hochthälern – ruhige Ergebenheit in den Willen des Vorgesetzten, zumal wenn das Vertrauen gewonnen, ist, aber auch ein lässiges Streben und wenig thätiges Entgegenkommen. Die Vorarlberger sind im Allgemeinen schwerer zu gewinnen, aber es ist mehr mit ihnen auszurichten.

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol, München 1846, Seite 182. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_190.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)