die Stube gerade für so viel Männer gebohrt sey als in
die Kirche gingen, daß da an Sonn- und Feiertagen jeder
seinen Platz haben wolle und daß er gar keinen Frieden genießen
würde bis auch die andern auf der Schwelle noch zu
sitzen kämen. Dabei stellte er uns vor, wie angenehm und
ruhig unser Schlafgemach sey, und es wäre ihm sehr lieb wenn
wir da hinüber gingen. Ei was? brummte da der eine von
uns, wir sind ja hier wie die Parias; erst wollen sie uns nicht
in der Kirche leiden, und nun nicht einmal im Wirthshause!
Ach! sagte der andere, es sind gute Leute; thun wir ihnen den
Gefallen. Nun nahm der Wirth vergnügt unser Trinkzeug
und trug’s hinüber, und wir folgten in unser armseligstes aller
Schlafgemächer. Stühle waren nicht darinnen, und so legten
wir uns in nothwendiger Verkürzung auf die Betten. Leider
wußten wir gar nicht was wir anfangen sollten. Lesen, Schreiben,
Rechnen schien alles nicht am Platz und an der Zeit.
Auch zum Reden fielen uns nur ärgerliche Bemerkungen ein,
die wir lieber unterdrückten. Alle Viertelstunden aber ging
einer hinunter und traf verabredetermaßen mit Nicodemus von
Rofen zusammen um das Wetter zu beurtheilen, denn beim
ersten sichern Anzeichen von Besserung sollte es weiter gehen.
Endlich, es war um halb zwölf Uhr und der Regen hatte schon seit einiger Zeit aufgehört, endlich sagte Nicodemus: es hebt, und mahnte zum Aufbruch. Er ließ sich noch eine fette Suppe geben, während wir einige Lebensmittel zu uns steckten und die Rechnung berichtigten. Bei letzterem Geschäfte gewannen wir übrigens die Ueberzeugung daß es in Vend zwar ziemlich schlecht, aber auch ziemlich theuer zu leben sey.
Nun hatte sich Nicodemus gestärkt, griff nach seinem Stabe und wir zogen davon. Allererst ging es eine jähe Anhöhe hinan, von wo wir rechts nach Rofen hineinsahen. Zu Vend läuft nämlich das Thal abermals in eine Gabel aus, deren eine Zinke zum Hochjoch, die andere zum Niederjoch führt. Im grünen Grunde der ersteren liegen die beiden ansehnlichen Rofner Höfe, die letzten Häuser im Oetzthale, nur noch zwei Stunden von dem vielbesprochenen Rofener Wildsee, und Nicodemus, dem der eine davon gehört, deutete mit Stolz auf
Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol, München 1846, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_239.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)