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gehäuft habe, daß die darauffolgende Sonnenhitze nicht mehr vermögend gewesen es gänzlich zu zerschmelzen. Die Bildung des Rofner Eissees wird von Joseph Walcher schon richtig so beschrieben, daß der an der linken Seitenwand des Rofnerthales gelegene Vernagtferner zeitenweise von seiner Höhe, oft aus stundenweiter Entfernung, in den Thaleinschnitt heruntersteige, diesen als quergelegter Eisdamm ausfülle und so den Bach, der aus dem Rofnerferner, dem innersten des Thales kommt und sonst ruhig abfließt, zum See aufstaue. Reißt dann mit zunehmender Sommerwärme der See den Damm durch, so ergeben sich jene verheerenden Ueberschwemmungen die alles flache Uferland, die Oasen von Vend, Sölden, Lengenfeld und Umhausen betreffen und nicht die mindeste der Plagen sind, denen der starkmüthige Oetzthaler ausgesetzt ist. Manchmal war die Wasserfluth, die sich da plötzlich löste, so mächtig, daß selbst das Innthal noch davon zu leiden hatte.

Der erste Ansatz dieses Eissees, so weit sichere Nachrichten vorhanden, fällt ins Jahr 1599. Im Jahr darauf brach er verwüstend aus. Darnach lag sein Bett lange Zeit trocken, aber 1677 fing er abermals an sich zu bilden und 1678 und 1680 zerbrach er den Damm mit großem Schaden des Oetzthales zum zweiten- und drittenmale. Als Peter Anich von Perfuß, der geniale Landmann, sein Vaterland Tirol aufnahm, um 1760, war der Seeboden wieder Weideland; er gab durch Punkte den einstigen Umfang des Wassers an und schrieb dazu: gewester (d. h. gewesener) See. Deßwegen spricht auch Friedrich Mercey, der im Jahre 1830 mit der Anich’schen Karte in der Hand Tirol durchpilgerte und das Tagebuch später zu Paris herausgab, in dieser Gegend von dem fameux lac Gewester, ein komisches Mißverständnis, das sich bei Lewald, der hier von einem Gewesteinersee erzählt, fast noch verschlimmert zeigt.

Im Jahre 1771 kam der Vernagtferner wieder an den Bach herab und zwei Jahre darauf erfolgte ein Ausbruch, der aber allmählich und daher mit weniger Zerstörung vorbeiging als die früheren. Seitdem zog der Gletscher vor- und rückwärts, erreichte jedoch die Thaltiefe lange Zeit nicht wieder.

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: Drei Sommer in Tirol. München 1846, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_241.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)