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Thal von Schnals. Da standen wir und schauten bald auf Similaun, den schauerlichen, so hoch über uns, bald auf das stille Paradies in der Niederung so tief unter uns, und wollten nun rasch über den letzten Auslauf des Gletschers weg. Ehe dieß aber vollbracht, hatten wir noch eine neckische Fährlichkeit zu bestehen.

Der Weg zum Ziele führt nämlich hier rechts an den zerklüfteten Wänden hin, und zwar noch immer auf dem Ferner, der da in mäßiger Breite schief abwärts hängt, bald aber ganz senkrecht in einem thurmhohen spitzen Zipfel, gleich einem gefrorenen Wasserfall, zwischen tausendzackigem Gestein ins Thal hinunter geht. Die letzte kurze Strecke, ehe wir auf festen Boden kamen, war die bedenklichste – rechts die Felsenwand, links der gefrorne Wasserfall, in der Mitte durch auf schiefem Eise der schlüpfrige Pfad. Der eine von uns legte sich nieder, um sich mittelst der Hände über die verdächtige Stelle zu schieben; der andere wollte aufrecht darüber steigen. Leider geriethen ihm nur wenige Schritte – jählings glitschte er aus, fiel zu Boden, kam ins Rutschen, packte in der Zerstreuung den andern Liegenden an einem Fuße, dieser als einer der auf der glatten Fläche keinen Halt hatte, mußte folgen und so glitten wir aneinander gekettet, der eine voraus, der andere hintennach, pfeilschnell dem Wasserfalle zu, über den wir wie zwei geflötzte Holzblöcke hinabgeschossen wären, um unten an den Felsen zu zerschellen, wenn nicht der Hinterpart trotz aller Eile den kleinen Runst eines Eisbächleins entdeckt hätte, das in derselben Richtung floß welche wir eingeschlagen hatten. In diesen stemmte er nun schleunigst seinen Vorderarm, und da das Rinnsal gewunden war, so gab es bald eine Hemmung, und der todesmuthige Convoi blieb so noch zur rechten Zeit lebensfroh auf dem Eise hängen. Nicodemus, der sorglos vorausgegangen war, weil ihm in seiner Geübtheit die offene glatte Bahn viel weniger Bedenken gemacht, als die überschneiten Fernerklüfte, Nicodemus hatte unterdessen seine Augen am grünen Thal von Schnals geweidet, kam aber jetzt auf unser Rufen herbei und führte einen nach dem andern ans Land, nicht ohne Mühe, denn da unten

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol. München 1846, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_250.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)