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auch die vielen Tiroler, die sich jährlich im Sommer zur Heuernte hinein verdingen und der ehrenhaftesten Behandlung gewürdigt werden, bisher nicht viel für Herstellung seines Rufes thun konnten. Man steht kalt und ablehnend einander gegenüber. Der alte Wirth, zum Beispiel, hatte sich in seinem langen Leben noch nicht die Zeit genommen der Engadeiner „Linguaig" zu lernen, sondern wies uns, als wir darüber Auskunft suchten, an die Kellnerin. Auch diese schien ihre sprachlichen Studien nicht überjagt zu haben und wußte, obwohl ein Mädchen in ihren Zwanzigern, nicht viel mehr als die Zahlwörter. Ein ähnliches Verhältniß findet übrigens auf der ganzen Sprachgränze statt. Der Deutsche, der dem Wälschen in Körpergestalt und Stärke überlegen ist, lebt und kleidet sich auch im Durchschnitt besser und hat so schon äußerlich mehr Ansehen als jener sein Nachbar. Zwar thut sich dieser durch feinere Manieren und größere Weltläufigkeit hervor, aber seine Schlauheit nützt ihm hier zu Lande nicht wesentlich, denn wenn der deutsche Tiroler nur etwas Uebung hat, so nimmt er’s darin gern mit Jedem auf und gewisse Arten, wie z. B. die Viehhändler, werden gar bald hieb- und stichfest. Der deutsche Bauer glaubt daher genug Gründe zu finden, um mit Stolz auf den Wälschen herabzusehen und Ausländerei, Liebe zum Fremden, Geringschätzung des Vaterländischen, sonst der Fehler gesammter deutscher Nation, ist ihm gewiß nicht vorzuwerfen. Auf dem ganzen Saume, wo deutsche und romanische Sprache zusammenstößt, die große Landstraße von Bozen gen Trient abgerechnet, liegen daher die beiden Elemente streng geschieden aneinander, wobei es denn der Deutsche immer lieber dem Wälschen überläßt deutsch zu lernen, als daß er ihm darin zuvorkäme. Die ein kleineres Gebiet umfassenden ladinischen Dialekte, das Engadeinische, das Grödnerische und Ennebergische hält es schon von vornherein Niemand der Mühe werth sich eigen zu machen; schon deßwegen nicht, weil die Unterengadeiner, die Grödner und Enneberger auch alle deutsch sprechen. Was das Italiänische betrifft, so haben die Handelsverhältnisse in den Städten die Kenntniß beider Sprachen zur Nothwendigkeit gemacht, und

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol. München 1846, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_276.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)