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wo die Hingeschiedenen im besten Feiertagsstaate gemalt werden, noch ständiger Kopfputz der Frauen, und nicht allein im Etschlande, sondern auch im Pusterthal. So geht die Volkstracht vom Werktag auf den Sonntag über, vom Sonntag auf den Feiertag, und stirbt dann im Zenith ihrer Würde, um noch als Kinderspott an den Leibern etlicher alten Männchen und Weibchen nachzugeistern. Je mehr sie sich den Augen der Menge entzieht, desto höher steigt ihre Bedeutsamkeit, bis die Stufe erreicht ist, wo vom Erhabenen zum Lächerlichen nur mehr ein Schritt. Zu der Zeit, wo sie nur noch hervorgezogen wird, um die höchsten Tage des Jahres auszuzeichnen, ist sie in der Regel schon geheimer oder auch bereits öffentlicher Lächerlichkeit verfallen. Uebrigens nehmen die Volkstrachten, wie es scheint, ihren Ursprung immer in den höhern Ständen und steigen von diesen in die untern und zu den Bauern herab. Die Bauerntracht ist aber wie die Aloe, die nur alle hundert Jahre blüht – sie geräth nur nach langen Zwischenräumen in den Zustand der Empfängniß; der Bauer und die Bäurin häuten sich selten früher als nach der dritten oder vierten Generation. Vieles, was die wechselnden Moden den höhern Ständen bringen, geht wieder dahin, ohne daß von unten her ein Auge darauf geworfen wird – manche Erscheinung aber, die gerade in die Zeit fällt, wo das Landvolk wieder seinen Schooß eröffnet, hält sich auf mehrere Menschenalter hinaus. Eine der vorstechendsten Trachten Tirols war ehemals bei den Männern auf der Höhe von Castelruth in Uebung. Sie ist seit etwa dreißig Jahren untergegangen, und man sieht sie wie viele andre tirolische nur noch auf älteren Trachtenbildern. Sie bestand aus einem grauen Spitzhut, großer Halskrause, rother kurzer Joppe, gelben Hosen und weißen Strümpfen. Diese Kleidung, fast in allen Stücken das Vorbild der deutschen Hanswurstentracht, zeigt sich in genauer Uebereinstimmung bei den Kriegsleuten auf Bildern der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts. Die Jacke der Meraner Bauern ist wohl ein Erbstück aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges. Die Spitzelhaube war nach einem Bildnisse im Braitenbergischen Hause zu Meran im

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol. München 1846, Seite 334. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_342.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)