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sind. Da geht in großer Eile und Geschäftigkeit der Chirurg von St. Pankraz umher und applicirt Aderlässe, Schröpfköpfe und Blutegel – ein eigener Badearzt ist nicht vorhanden, aber alle ärztlichen Curgäste ordiniren unentgeltlich. – Da sah ich zuerst ein Nonsberger Kindlein, das in einem winzigen Männchen lag, während die Mutter zu ihm niederkauernd italienische Wiegenlieder in seine Ohren summte, wobei die vorübergehende Bademagd murrend schalt: dem Kindlein da ist das Wasser auch viel zu stark und die Mutter gibt keine Ruhe, bis es zu Tod gebadet. – Ultnerwasser ist nämlich keines, mit dem man spielen darf. Wenn die Leute in die Wannen gestiegen, werden die Thüren der Verschläge geöffnet, und den Besuchern Zutritt gestattet. Da liegen sie dann alle reihenweise zugedeckt in ihren Särgen, während ihnen zu Häupten und zu Füßen die Befreundeten sitzen. Die deutschen Landleute benehmen sich auch in dieser Lage sehr ruhig, die italienischen Weiber verursachen dagegen großen Lärm, und wenn eine aus ihrer Wanne heraus ein kräftiges Witzwort entsendet, so erhebt sich ein sinnverwirrendes Gelächter. Es ist ziemlich dunkel in diesen Räumen. Aus den Ritzen einer Nebenkammer schimmerte ein Licht; plötzlich sprang die Thüre auf und drinnen zeigte sich, zauberhaft beleuchtet von der kleinen Lampe, ein bildschönes, halbenthülltes Landmädchen. Mir fielen die Augen zu bei diesem verbotenen Anblick – unter einem Schrei schnappte auch das Pförtchen ein und ich suchte erschreckt den Ausweg aus dem nicht geheuern Orte. Ueber diesem ist ein langer Gang, auf den die Wohnzimmer der mindern Gäste herausgehen. Auch hier sind unter Tags, da die winzigen Fensterlücken wenig Licht gewähren, die Thüren offen. Da sieht man manche arme Seele, die gewiß nicht der Sommerluft wegen sich hiehergeschleppt – etliche sitzen vor den Thüren, der frischen Luft wegen, andere liegen todtenbleich, grabgerecht in den Betten. So muß sich zuweilen ein frommer Badgast auf den Tod bereiten, während die böhmischen Walzer lebenslustig in sein Sterbekämmerlein schallen. Ein junges Mädchen aus Salurn war da schon in der sechsten Woche gliederkrank, konnte sich nicht rühren, lag aber freundlich

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol, München 1846, Seite 365. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_373.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)