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und geduldig auf ihrem Lager. Eine Bauernmaid, deren Theilnahme sie gewonnen, saß bei ihr und las aus der Legende vor. Ich machte auch meinen Krankenbesuch und stillte gerne die Neugier, wo ich denn zu Hause sey. Pater Florin, der greise, milde Capuciner aus Lana, löste mich bei ihr ab. Darauf stieg ich wieder in den lebhaften Hof hinunter. Ein alter, ärmlicher Bauersmann mit schneeweißen Haaren lag dort auf einem Sack an der Sonne, todesmüde. Er schloß die Augen – ich glaubte für immer – doch erwachte er an meinen Schritten, blickte mich an und lispelte: wo bleiben Sie? Neben dem alten Bauer saß regungslos ein junger, verwelkten Ansehens, stille Entsagung im Gesichte. Auf seinem grünen Hosenträger war ein rothes Herz eingestickt, das ein Pfeil durchbohrte. Sollte das etwas zu bedeuten haben? Solche bedauernswerthe Gestalten sah ich noch mehrere, jedenfalls genug um beizustimmen, wenn Dr. v. Hörmann in seiner Schrift über die Bäder des Etschlandes sagt: Ja, der Mensch im Gebirgslande ist keineswegs ein Riese an Kräften und Körperbau.

Diese Behauptung ließ sich weiter belegen aus den Erscheinungen hinten im hölzernen Hause, wo die mindern Leute Mittag- und Abendmahl halten und in den Zwischenzeiten etwa ein Gläschen trinken. Gleichwohl besteht auch da eine bedeutende Minderheit aus Gästen, die das Wasser nur so nebenbei gebrauchen. Hier kommen dem Belehrungslustigen unter andern jene Sprachgränzbauern in den Wurf, welche da oben über dem Grate zu Unser Lieben Frau, Laureng und Proveis sitzen, in den deutschen Dörfern, die sich am obersten Bergsaume des wälschen Nonsberges finden, alle in wenigen Stunden zu erreichen, denn was wir schon längst hätten anbringen können, alsbald jenseits des Bergzuges, der die rechte Seite des Ultnerthales bildet, fängt das italienische Val di Non an. Die Bewohner dieses Hinterhauses leben nun sehr frugal und prunklos. Es ist angenehm zu bemerken, wie ihnen in ihrem sparsamen Treiben auch von der Wirthschaft nichts in den Weg gelegt wird, wie die Preise selbst sehr billig sind und wie ihnen alle Listen nachgesehen werden, mit denen sie des

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol, München 1846, Seite 366. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_374.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)