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die ihren Scheitel im jonischen Meere spiegeln. In der Niederung liegen Weingüter; sammt und sonders in zierlichen Bogengängen, und aus den Weingütern steht die Stadt auf, im dünnen Morgenflore, mit dem braunen feinen gothischen Pfarrthurm, der sein fleißiges Geläute erbauend herüber hallen läßt. Ueber der Stadt hinaus führt das Thal an der schlängelnden Etsch hin nach Italien, eine schmale Ebene, die sich im engen Einfange senkrechter Felsenmauern hinunterstreckt bis an die Clause von Verona. Man sieht da in viel blaues Berggeschiebe, das sich geheimnißvoll in einander drängt. Zur rechten Seite in ziemlicher Nähe schießt die rothe Wand der Mendel auf, und ihr zu Füßen dehnen sich lockend die milden Höhen von Kaltern, voll Dörfer, Höfe, Landsitze und Burgen. Dort drüben, an den Pforten der Weinkammer von Tirol, ragt die stolze Ruine von Sigmundskron, und vom steilen Berghang herab glänzt Hohen-Eppan, die glorreiche Veste, jetzt zwar gebrochen, aber noch immer bedeutsamen Ansehens, fast wie ein galiläisches Bergstädtchen in Merians Bilderbibel. Neben ihr liegen noch andere Burgen, diesseits der Etsch Haselburg und Weinegg, weiter oben Carneid, da wieder eine Veste, dort noch ein paar und wieder ein paar. – An dieser schönen Landschaft ergötzte ich mich oft stundenlang in dem Garten, dessen lieber Herr mich gastfreundlich zu sich geladen, um den Herbst mit ihm zu verleben. Da erfreute mich auch noch der Umgang einer liebenswürdigen Familie und das Labsal einer trefflichen Bibliothek, für die der Hausherr alles gesammelt hatte, was die Literatur europäischer Völker Schönes hervorgebracht. Das war ein selig stilles Musenleben, an das ich mich meiner Tage mit Dankbarkeit erinnern werde.

Gehen wir jetzt aus der heimlichen Abgeschiedenheit unsers Gartens hinunter in die lauten Gassen der Stadt, welche die reichste ist in Tirol, nach allgemeiner Annahme auch die heißeste, da der enge Bergkessel die Hitze mehr zusammen hält als die luftigern Lagen von Trient und Roveredo. Die Stadt ist ohne viele Zierlichkeiten, aber gut gebaut, voll hoher fester Häuser, mehr alterthümlich als neumodisch. Die

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol, München 1846, Seite 371. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_379.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)