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Die Gegend beherrscht der Schlern, ein Berg von höchst eigenthümlicher, prächtiger Gestaltung, welchen Lewald sehr glücklich einem ungeheuern ruhenden Wallfisch verglichen hat, der aus seinen Nüstern zwei dicke, achtausend Fuß hohe Wasserstrahlen in die Lüfte sendet. Der Schlern ist so zu sagen der Liebling der Bozner Gegend, und wird sehr häufig bestiegen. Neben ihm zeigt sich die grüne Höhe der Seiseralpe. Ueber dieser ragen die weißen Zacken der Dolomitgebirge von Gröden auf; rechts vom Schlern aber die wilden Gabeln aus den Thälern von Fleims und Fassa. Eine Reihe davon heißt der Rosengarten, was den Kennern der deutschen Sage Anlaß geben mag ihn mit dem König Laurin zu verbinden. Die schönste Ansicht dieses Gegenübers bietet das gastfreie Landhaus des Herrn Apothekers Haas, wo auch Fernröhre zur Hand sind, um die entlegenen Schönheiten näher herzuziehen. Der Ritten ist übrigens eine sehr buckelige Gegend, und die Spaziergänge sind daher bergig und mühsam. Man beschränkt sich auch gerne auf die nächste Nähe, und wenn weitere Ausflüge unternommen werden, so geschieht es meistens zu Pferde.

Eine sehr besuchte Stelle ist der Horn, eine Höhe, etwa dritthalb Stunden von Klobenstein gelegen mit einer unermeßlichen Rundsicht auf die Bergzüge, welche das Flußgebiet des Eisacks und der Etsch umzäunen. Eine Fahrt auf den Horn wird mit aller boznerischen Behaglichkeit unternommen. Die Träger schleppen schwere Lasten von Mundvorrath und Wein. Auf allen schönen Plätzen wird getafelt und die Mühsal so sorgfältig in Erholung eingehüllt, daß fast nichts von ihr zu spüren.

Die Landhäuser auf dem Ritten und zu Oberbozen sind gewöhnlich denen, die dort die Sommerfrische zubringen, eigenthümlich. Jene Stadtleute, denen ein solcher Besitz versagt ist, genießen ihre Sommerluft an Orten, wo ihnen Miethwohnungen zu Diensten stehen. Dergleichen sind Jenesien, ein lustiges Bergdorf auf der Hochebene jenseits der Talfer oder Kollern, Oberbozen gegenüber, jenseits des Eisacks. Während der ganzen Zeit kommen die Frauen selten oder nie zur Stadt, die Männer nur, wenn dringende Geschäfte sie rufen. Der

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol, München 1846, Seite 386. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_394.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)