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bescheidene Aufdringlichkeit, als zu ihrer Handelschaft nöthig ist. Manche sammeln sich mit der Zeit ein kleines Vermögen, ziehen in die Heimath und vermählen sich da nach ihrer Wahl; andere aber und deren Anzahl ist auch nicht gering, erreicht der Liebesgott auf dem Wege. Ja, manche junge Grödnerin hält oft plötzlich ein junger Mann vom Weiterziehen ab, indem er ihr auf die treuen Augen hin seine Hand reicht, zärtlich bittend, sie möge von ihren Irrfahrten abstehen und lieber sein häuslich Ehebett bereiten. Daher findet man denn weit zerstreut, in deutschen und wälschen Thälern die Frauen von Gröden als Wirthinnen oder Krämerinnen, fast immer in hohem Ansehen. „Sie ist eine Grödnerin“ hört man oft von Stadt- und Landleuten mit einem Ausdruck sagen, als enthalte dieses Wort alles, was sich von Treue, Ehrenhaftigkeit und löblichem Wesen einer Hausfrau berichten läßt. Nicht ganz so hoch stellt der deutsche Nachbar die Männer von Gröden. Er läßt ihnen zwar die Ehre des Fleißes, der Sparsamkeit, der Anlage für Handelschaft, behauptet aber, in allem andern, was nicht in diese einschlage, sey der Grödner beschränkten Verstandes, sein Ideenkreis sehr enge, sein Bildungstrieb sehr kümmerlich. Bei solchen Urtheilen dürfen uns vielleicht die Engländer einfallen, von denen man ja auch gesagt hat, sie seyen nicht geistreich, brächten aber zu allen Dingen die sie unternehmen gerade so viel Verstand auf, als sie dazu brauchten.

Am selbigen St. Matthäustage war also Markt, aber da es schon Abend geworden, so hatte der Handelsverkehr bereits aufgehört. Auf einem freien Platze, etwas oberhalb der großen Pfarrkirche, in welcher eine Muttergottes, angeblich von Canova, da fanden wir noch einige Krämerstände, um welche sich etlich müßiges Volk drehte. Dabei war nicht viel zu beobachten und wir suchten daher eine berühmte Schnitzlerin auf, die in einer kleinen hölzernen Hütte nicht weit vom Marktplatze wohnt. Es ist eine Frau in mittleren Jahren, mit mehreren Kindern gesegnet, wahrscheinlich eine Wittwe, denn von ihrem Manne war nicht die Rede. Auf einem schmalen Tischchen lagen ein halbes hundert Schneid- und Stemmeisen

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol. München 1846, Seite 428. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_436.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)