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wandern, so erblüht ihnen erst die Erkenntniß, warum sie so lange Jahre in der Schule gesessen. Jetzt lernen sie allmählich die Bedeutung der mannichfachen Wörter und Phrasen kennen, die ihnen etwa aus beiden Sprachen noch im Kopfe geblieben und allmählich kommen sie auch darauf, was die schönen Geschichten alle sagen wollten, die sie in den Tagen ihrer Kindheit stundenlang herunter lesen mußten.

In den Kirchen wird zumeist italienisch gepredigt; zu Zeiten aber auch deutsch. In neuerer Zeit finden sich einzelne Geistliche, welche sich bemühen, das Italienische der größern Verständlichkeit wegen zum Grödnerischen herabzuziehen oder dieses zu jenem hinaufzuheben und so predigen sie denn in einem italianisirten Gardena. Als Seelsorger werden keine deutschen Priester hier verwendet, und auch reine Italiener sind nicht ganz paßlich. Dagegen erscheinen die geistlichen Herren von Enneberg vollkommen tauglich und auch die von Buchenstein und Fassa, wo ein Dialekt gesprochen wird, der den Uebergang aus dem Ladinischen ins Italienische bildet, können sich in kurzer Zeit ganz heimisch machen. Diese vier Landschaften, Gröden, Enneberg, Buchenstein und Fassa bilden daher, so zu sagen, eine abgeschlossene geistliche Sprachprovinz, welche ihre Seelsorger ausschließlich nur aus ihren Landsleuten erhält.

Uebrigens scheint vor der besseren Einrichtung des Schulunterrichts, für welchen sich allerdings das Italienische bald als das Eingänglichere darbieten mußte, das Deutsche, wenn nicht noch mehr verbreitet, so doch diejenige Sprache gewesen zu seyn, welche man für schriftlichen Gebrauch allein anerkannte, und die Romanen in Gröden und Enneberg mögen daher ein umgekehrtes Seitenstück zu den deutschen Cimbern in den Sette Communi gebildet haben, in welch letztern, wie Schmeller sagt, sich der gemeine Mann Lesen und Schreiben nur italienisch denken kann. Es leitet zu dieser Annahme die Wahrnehmung, daß alle älteren Inschriften auf Häusern, Grabmälern etc. vom vorigen Jahrhundert an rückwärts deutsch oder lateinisch sind. Das Italienische hat sich erst in den letzten

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol. München 1846, Seite 443. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_451.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)