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er den Grödnern für ihre Schnitzlerfahrten aufstellte, und wenn nicht so manches Jahrhundert verronnen wäre von der Zeit, wo er aus Wälschland zurückkam, bis zu den Tagen, wo die ersten Bilderkrämer aus seinem Thale über die Apenninen gingen, so könnte man sagen, an ihn knüpfe sich die Ueberlieferung, wie gebahnte Wege der Eingeborne von Gardena jenseits der südlichen Gebirge finde.

Der Langkofel ist ein schrecklicher Fels, der seine ungeheure Dolomitenzunge so hoch gen Himmel streckt, daß euch dabei fast ein Schauer anfällt. An seinen Wänden hängt kein Grashalm, viel weniger daß da eine Gemse klettern könnte. Auf dem Haupte trägt er eine weiße Decke. So unerklimmbar er von dieser Seite dasteht, so ist ihm aber doch von hinten beizukommen und wir haben mehr als einen Grödner gefunden, der von da oben herunter in sein liebes Thal geschaut. Bis jetzt hatten wir ihn vor uns gehabt, aber nunmehr trat er zur Seite, denn wir wanderten das Grödnerjoch hinauf, jäh und steil eine lange Zeit, bis es oben in hügeligen Wiesen endet. Dort empfingen uns wieder andre Felsgebilde, die ebenso starr und schroff den breiten Wiesgrund umstanden. Eine verlassene Sennhütte stand am Wege und in ihrer Nähe etliche junge Zirbelbäume.

Nicht weit von der Sennhütte und den Zirbelbäumen war auch die Wasserscheide, wo die Bächlein sich sondern und die einen gegen Abend rinnen ins Thal von Gröden und die andern gegen Morgen in die Abtei. Da sah ich noch einmal in die Alpenlandschaft hinunter, aus der ich heraufgestiegen war, in das bilderreiche Thal von Gardena. Freilich hatten sich jetzt die Berghalden vorgezogen, um die Dörfer am tiefen Bache zu verbergen, und nur einzelne Häuser und Hütten, die auf den Höhen herumlagen, blickten noch herüber. Unter diesen aber lagen St. Maria, St. Christina und St. Ulrich, die frommen Dörfer. Was für eine stille Kraft, dachte ich, wohnt in dem alten rhäto-romanischen Volke, das aus seinen Bäumen Millionen herausschnitzelte und seinen Namen bis in die neue Welt trug! Und doch, wie bescheiden und einfach und gutmüthig und menschenfreundlich sind diese Aelpler geblieben!

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol. München 1846, Seite 447. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_455.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)