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Klafter hohen, durch lange Risse getrennten Staffeln, welche Ungethüme in weitem Kreise umgangen werden mußten, dann steile glatteisige Flächen, daß man einander mit den langen Bergstöcken schieben und ziehen mußte, große, überschneite Eisspalten, Schneeflecke, in die man bis zu den Knien einsank, wilde Durchbrüche, weitklaffende Risse, bis man endlich dem Gletscherkamme nahe gekommen, der aber mit Sprüngen und Runsten, Erkern und Thürmchen einer drohenden halbverfallenen Festung glich. Um diese Zeit war die Gefahr, in die überall aufgähnenden Schlünde und Vertiefungen zu fallen am höchsten. Lippl und Jackl, die kakophonen Begleiter, der eine voran, der andre hinten, stiegen spähend und vorsichtig einher, waren aber erst aufgelegt zu plaudern, als man nach dreieinviertelstündigem Klettern die Kante des Ferners erreicht hatte. Da fand sich’s, daß man 3684 Fuß über Lisens, 8668 über dem Meere stand und neben bei hatte man das Vergnügen, durch die schauerliche Eiswüste einen Schmetterling flattern zu sehen.

Von da an wurde das Weiterkommen durch Schluchten und Brüche so sehr gehindert, daß man in der nächsten halben Stunde nur einige hundert Schritte machen konnte. Bald darauf hörten zwar die Spalten auf, allein dafür kamen andre Plagen, nämlich Hitze und Tiefe des weichen Schnees, in den die Wanderer wieder tief einsanken, bis sie endlich die rothe Wand erreichten, die, rauh und fest wie sie war, zur angenehmen Abwechselung ohne Verzug erklettert wurde. Oben liegt ein kleiner See, zugefroren und leicht überschneit, welchen Jackl zu großer Freude der Gesellschaft entdeckte und sehr labend fand man dessen Wasser. Nicht weit davon begegnete man höchlich überrascht einem andern Thalbewohner, einer Biene nämlich, die aber der nähern Berührung entwich und dem nächsten Kogel zuflog. Bald darauf, was weniger erfreulich war, brach Jackl auf dem obern Ferner, den man jetzt betreten hatte, bis an die Hüften in den Schnee und durch die Oeffnung sah man in finstern Schlund hinab. Jetzt mehrte sich das Gewölk und es fing zu tröpfeln an. Das hätte jedem andern den Spaß verdorben,

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol. München 1846, Seite 483. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_491.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)