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die zunächst an der Schneegränze liegen. Ein Wanderer, den ich jetzt erreicht hatte, gab sich als Metzger zu erkennen, und machte auf diese in seine Geschäftssphäre einschlagende Erscheinung besonders aufmerksam. Einer andern schriftlichen Quelle bin ich für die Nachricht verbunden, daß einst bei einer Jagd, die Kaiser Max in diesen Bergen hielt, hundert und dreiundachtzig Gemsen erlegt wurden – eine Beute, die jetzt kaum mehr zu gewinnen wäre, auch wenn wieder ein Kaiser käme. Mein Begleiter war übrigens gebürtig bei Sterzing, in dem Dorfe Gossensaß, dessen Name (urkundlich Gozzinsazze) sein Gefährte nicht unglücklich als Gothensitz erklärt und auf die Zeit zurückgeführt hat, als die Gothen Herren über Rhätien waren. Drum studirte dieser auch lange in den Zügen des andern, ob er nicht eine ethnographische Rune, irgend ein gothisches Wahrzeichen darin entdecken möchte, bis der Metzger, des Spionirens überdrüssig, lächelnd fragte: Haben Sie denn da nichts zu schauen als mein G’fris.

Oben fast am Joche fanden wir eine Galthütte mit dem Stalle für sechs Ochsen, etliche Ziegen und eine Kuh, die hier in der Höhe weiden. Neben an rieselt eine Quelle, die ein treffliches Wasser bietet. Nahe bei der Quelle ist am Felsen ein Denkstein angebracht, zur Erinnerung an die heitre Fußreise, welche den Erzherzog Johann im Jahre 1835 auf diese Höhe geführt. Damals stieg der geliebte Prinz herüber mit den gewappneten Heerhaufen der Gebirgsschützen aus der Nachbarschaft, die ihm fröhlich das Geleit gaben.

Der Ochsenhirt war nicht in der Hütte, doch fanden wir sein Trinkgeschirr, mit dem wir alsbald aus der Quelle schöpften, nach mühsamer Reinigung, denn der einfache Aelpler hatte es augenscheinlich die ganze Saison über noch nicht ausgespült. Die Galthütten fallen überhaupt sehr störend in die gebirglerischen Illusionen der Leute von der Ebene. Dahin verläuft sich keine junge Sennerin, die dem Gast zum Abschied mit rosigen Lippen einen Kuß aufdrückt, da gibt’s keine Zither und keinen Gesang, keine Käskessel und überhaupt keine Alpenwirthschaft, wohl aber einen alten eisbärtigen Ochsner, der in seinem Schmutz erstickt und nur zu oft schlechter

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol, München 1846, Seite 504. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_512.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)