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wir herankamen, grüßten sie manierlich, die Duxerin nicht ohne einige Freude, daß da, von dem Rufe ihres Thales angezogen, wieder einmal ein Fremder übers Joch gestiegen sey. Der stattliche Passeyrer, ein großgewachsener, schlanker Mann mit braunem, scharfgeprägtem Gesichte, fragte zuvorkommend, ob ich nicht von seinem Schnapse versuchen wolle, und als ich mich bereit erklärt, nahm er unverweilt seine Krakse vom Rücken und schenkte mir aus einem kleinen Fäßchen ein. Vergeltung wollte er nicht haben, denn auf dem Joche müsse ein Mensch dem andern aushelfen.

Sehr artig war auch das Duxer Mädchen, obgleich nicht gar schön. Sie sang ihre Worte so lieblich hinaus und plauderte so uraltes Bayrisch, daß ich ihren Lauten mit immer wachsendem Vergnügen zuhorchte. Insbesondere überraschte die Deutlichkeit ihres Vortrages; ich und mich und sich sprach sie ganz bühnengerecht, und da sonst die bojoarischen Landleute nur i und mi und si sprechen, so klang mir das gar städtisch und vornehm. Auch mit den Vocalen der Vor- und Nachsylben ging sie sehr behutsam um und gönnte ihnen viel mehr Daseyn, als es ihre Landsleute in andern Thälern thun. Sie lud mich schmeichelnd ein, doch auch ihren Ferner zu besehen, den so viele schon mit Freuden beschaut hätten. Sie hatte den gleichen Weg zu machen auf einige Kasern hinunter, die nicht weit außerhalb des Gletschers standen. Ich ging gerne mit und wir kamen also zu den Kasern, etlichen armseligen Hütten in einer kleinen Thalrinne. Hier blieb das Mädchen zurück und ich schritt einwärts zum Ferner, oder vielmehr zum Keese, denn diesseits der Brennerstraße, in Dux, im Zillerthal, im Pusterthal und seinen Seitenthälern werden die Ferner Keese genannt. Nach wenigen Schritten bog ich um eine Ecke und stand da im Amphitheater des Gletschers, der im Sonnenschein prachtvoll aufblitzte. Rechts und links steigen riesige Hörner in die Höhe, zwischen denen sich der Ferner wie eine silberne Schleppe in die Kiesarena heruntersenkt, die seine Bäche durchströmen. Die eine Hälfte seines Eises liegt einer Muschel gleich auf dem Griese; die andre Hälfte sitzt zerbrochen, zerklüftet, in vielen Spitzen

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol, München 1846, Seite XXX. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_515.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)