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Schule der Oeffentlichkeit ihm benahm und die Gelegenheit, seinen Verstand in logischen Problemen zu üben. Die Rechtssprüche durch den Mund des Landvolkes sind, nach den Worten Grimms, ein herrliches Zeugniß der freien und edlen Art unsers eingebornen Rechts. „Es ist wahr, daß in manchen Bestimmungen eine derbe heidnische Ansicht waltet, die den gemilderten Sitten der Nachwelt Anstoß gibt, aber wir müssen eingedenk seyn, daß neben einzelnen Wildheiten, die uns beleidigen, im altdeutschen Rechte die erfreuende Reinheit, Milde und Tugend der Vorfahren leuchtet und noch unbegriffene Züge ihrer Sinnesart unser ganzes Nachdenken anregen müssen.“ Ein Säcularcursus in jener biedern Rohheit würde uns, wenn er möglich wäre, gewiß weit weniger schaden, als der Durchgang durch die servile Schlechtigkeit und die andächtelnde Heuchelei des vorigen Jahrhunderts, aus dem wir noch immer nicht recht heraus sind. – Ein Verlust, fast ebenso groß und noch weniger zu ersetzen, ist der der deutschen Volkspoesie, deren Stoffe ja bis ins älteste Heidenthum hinauf reichen und ein Stammgut aller deutschen Stämme waren von den Eisbergen Islands bis in die wälschen Gassen von Verona. Ueberall erklangen die Lieder von Sigfrid, dem Drachentödter, und der liebenden Chriemhild, von dem guten König Ezel und dem starken Dietrich von Bern. Aventin berichtet uns, daß noch zu seiner Zeit die Bauern von keinem Könige mehr erzählt, als von Dietrich von Bern, welches nämlich der alte Gothenkönig Theodorich ist. Gewiß war damals in Tirol noch reichlicher die Rede von ihm, da ja die Burg zu Bern und jene andre zu Garten fast vor Augen lagen, während König Laurin und die Mähr vom Berge zu Gloggensachsen (Gossensaß) und noch so vieles andre der deutschen Heldensage gerade auf tirolischen Boden einwurzelte. Wenn damals der Sinn des Volkes überhaupt für Ueberlieferungen noch offener war, so dürfen wir annehmen, daß auch seine eigene Historie fester haftete, und wie die Hellenen die Geschichte ihrer Heldengeschlechter viele Jahrhunderte lang mündlich fortgetragen haben, so ging wohl auch bei den Deutschen das Gedächtniß ihrer Thaten länger mit, während sich jetzt das

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol, München 1846, Seite 648. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_656.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)