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Wir nehmen eine erstaunliche Veredlung in manchen Zierblumen wahr, wenn man die heutigen Blumen mit Abbildungen vergleicht, die vor 20—30 Jahren davon gemacht worden sind. Wenn eine Pflanzen-Rasse einmal wohl ausgebildet worden ist, so entfernt der Samen-Züchter nicht die besten Pflanzen, sondern diejenigen aus den Saamen-Beeten, welche am weitesten von ihrer eigenthümlichen Form abweichen. Bei Thieren findet diese Art von Auswahl ebenfalls statt; denn kaum dürfte Jemand so sorglos seyn, seine schlechtesten Thiere zur Nachzucht zu verwenden.

     Bei den Pflanzen gibt es noch ein anderes Mittel das Maas der Wirkungen der Zuchtwahl zu beobachten, nämlich die Vergleichung der Verschiedenheit der Blüthen in den mancherlei Varietäten einer Art im Blumen-Garten; der Verschiedenheit der Blätter, Hülsen, Knollen oder was sonst für Theile in Betracht kommen, im Küchen-Garten, gegenüber den Blüthen der nämlichen Varietäten; und der Verschiedenheit der Früchte bei den Varietäten einer Art im Obst-Garten, gegenüber den Blättern und Blüthen derselben Varietäten-Reihe. Wie verschieden sind die Blätter der Kohl-Sorten und wie ähnlich einander ihre Blüthen! wie unähnlich die Blüthen des Jelängerjeliebers und wie ähnlich die Blätter! wie sehr weichen die Früchte der verschiedenen Stachelbeer-Sorten in Grösse, Farbe, Gestalt und Behaarung von einander ab, während an den Blüthen nur ganz unbedeutende Verschiedenheiten zu bemerken sind! Nicht als ob die Varietäten, die in einer Beziehung weit auseinander, in andern gar nicht verschieden wären: Diess ist schwerlich je und vielleicht niemals der Fall! Die Gesetze der Wechselbeziehungen des Wachsthums, deren Wichtigkeit nie übersehen werden sollte, werden immer einige Verschiedenheiten veranlassen; im Allgemeinen aber kann ich nicht zweifeln, dass die fortgesetzte Auswahl geringer Abänderungen in den Blättern, in den Blüthen oder in der Frucht solche Rassen erzeuge, welche hauptsächlich in diesen Theilen von einander abweichen.

     Man könnte einwenden, das Prinzip der Zuchtwahl seye erst seit kaum drei Vierteln eines Jahrhunderts zu planmässiger Anwendung gebracht worden; gewiss ist es erst seit den letzten

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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite xxx. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_039.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)