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und stufenweise eintreten. Und doch hat Mr. Lubbock kürzlich an Coccus einen Grad von Veränderlichkeit an diesen Hauptnerven nachgewiesen, welcher zumeist an die unregelmässige Verzweigung eines Baumstamms erinnert. Ebenso hat dieser ausgezeichnete Naturforscher ganz kürzlich gezeigt, dass die Muskeln in den Larven gewisser Insekten von Gleichförmigkeit weit entfernt sind. Die Schriftsteller bewegen sich oft in einem Zirkelschluss, wenn sie behaupten, dass wichtige Organe nicht variiren; denn dieselben Schriftsteller zählen praktisch diejenigen Organe zu den wichtigen (wie einige wenige ehrlich genug sind zu gestehen), welche nicht variiren, und unter dieser Voraussetzung kann dann allerdings niemals ein Beispiel von einem variirenden wichtigen Organe angeführt werden; aber von einem andern Gesichtspunkte aus lassen sich deren viele aufzählen.

     Mit den individuellen Verschiedenheiten steht noch ein andrer Punkt in Verbindung, der mir sehr verwirrend zu seyn scheint; ich will nämlich von den Sippen reden, die man zuweilen »proteische« oder »polymorphe« genannt hat, weil deren Arten ein ungeordnetes Maass von Veränderlichkeit zeigen, so dass kaum zwei Naturforscher darüber einig werden können, welche Formen als Arten und welche als Varietäten zu betrachten seyen. Man kann Rubus, Rosa, Hieracium unter den Pflanzen, mehre Insekten- und Brachiopoden- Sippen unter den Thieren als Beispiele anführen. In den meisten dieser polymorphen Sippen haben einige Arten feste und bestimmte Charaktere. Sippen, welche in einer Gegend polymorph sind, scheinen es mit einigen wenigen Ausnahmen auch in andern Gegenden zu seyn und, nach den Brachiopoden zu urtheilen, in früheren Zeiten gewesen zu seyn. Diese Thatsachen nun scheinen in soferne geeignet Verwirrung zu bewirken, als sie zeigen, dass diese Art von Veränderlichkeit unabhängig von den Lebens-Bedingungen ist. Ich bin zu vermuthen geneigt, dass wir in diesen polymorphen Sippen Veränderlichkeit nur in solchen Struktur-Verhältnissen begegnen, welche der Art weder nützlich noch schädlich sind und daher bei der natürlichen Züchtung nicht berücksichtigt und befestigt worden sind, wie nachher erläutert werden soll.

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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite xxx. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_052.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)