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wenn ein Theil der Organisation durch Variation modifizirt und wenn diese Modifikationen durch Natürliche Züchtung zum Besten des organischen Wesens gehäuft werden, dann wieder andre Modifikationen oft von der unerwartetsten Art veranlassen.

     Wie die Abänderungen, welche im Kultur-Zustande zu irgend einer Zeit des Lebens hervorgetreten sind, auch beim Nachkömmling in der gleichen Lebens-Periode wieder zu erscheinen geneigt sind: in den Saamen vieler Küchen- und Acker-Gewächse, in den Raupen und Coccons der Seidenwurm-Varietäten, in den Eiern des Hof-Geflügels und in der Färbung des Dunenkleides seiner Jungen, in den Hörnern unsrer Schaafe und Rinder, wenn sie fast ausgewachsen, — so ist auch die Züchtung im Natur-Zustande fähig, in einem besondern Alter auf die organischen Wesen zu wirken, für diese Lebenszeit nützliche Abänderung zu häufen und sie in einem entsprechenden Alter zu vererben. Wenn es für eine Pflanze von Nutzen ist, ihre Saamen immer weiter und weiter mit dem Winde umherzustreuen, so ist für die Natur die Schwierigkeit diess Vermögen durch Züchtung zu bewirken nicht grösser, als sie für den Baumwollen-Pflanzer ist durch Züchtung die Baumwolle in den Fruchtkapseln seiner Pflanzen zu vermehren und zu verbessern. Natürliche Züchtung kann die Larve eines Insektes modifiziren und zu zwanzigerlei Bedürfnissen geeignet anpassen, welche ganz verschieden sind von jenen, die das reife Thier betreffen. Diese Abänderungen in der Larve werden zweifelsohne nach den Gesetzen der Wechselbeziehungen auch auf die Struktur des reifen Insektes wirken, und wahrscheinlich ist bei solchen Insekten, welche im reifen Zustande nur wenige Stunden zu leben und keine Nahrung zu sich zu nehmen haben, ein grosser Theil ihres Baues nur als ein korrelatives Ergebniss allmählicher Veränderungen in der Struktur ihrer Larven zu betrachten. So können aber wahrscheinlich auch umgekehrt gewisse Veränderungen im reifen Insekte oft die Struktur der Larve berühren, in allen Fällen aber nur unter der Bedingung, dass diejenige Modifikation, welche bloss die Folge einer Modifikation auf einer anderen Lebensstufe ist,

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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_091.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)