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Kinnlade; und der Schild mag für den Sieg eben so wichtig seyn, als das Schwert oder der Speer. Unter den Vögeln hat der Bewerbungs-Kampf oft einen friedlicheren Charakter. Alle, welche diesen Gegenstand behandelt haben, glauben, die eifrigste Rivalität finde unter den Sing-Vögeln statt, wo die Männchen durch Gesang die Weibchen anzuziehen suchen. Der Felshahn in Guiana (Rupicola), die Paradiesvögel u. e. a. schaaren sich zusammen, und ein Männchen um das andere entfaltet sein prächtiges Gefieder, um in theatralischen Stellungen vor den Weibchen zu paradiren, welche als Zuschauer dastehen und sich zuletzt den liebenswürdigsten Bewerber erkiesen. Sorgfältige Beobachter der in Gefangenschaft gehaltenen Vögel wissen sehr wohl, dass oft individuelle Bevorzugungen und Abneigungen stattfinden; so hat Herr R. Heron beschrieben, wie ein scheckiger Perlhahn ausserordentlich anziehend für alle seine Hennen gewesen. Es mag kindisch aussehen, solchen anscheinend schwachen Mitteln irgend eine Wirkung zuzuschreiben, und ich kann hier nicht in Einzelnheiten eingehen, um jene Ansicht zu unterstützen; wenn jedoch der Mensch im Stande ist seinen Bantam-Hühnern in kurzer Zeit eine elegante Haltung und Schönheit je nach seinen Begriffen von Schönheit zu geben, so kann ich keinen genügenden Grund zum Zweifel finden, dass weibliche Vögel, indem sie Tausende von Generationen hindurch den Melodie-reichsten oder schönsten Männchen, je nach ihren Begriffen von Schönheit, bei der Wahl den Vorzug geben, nicht ebenfalls einen merklichen Effekt bewirken können. Ich habe starke Vermuthung, dass einige wohlbekannte Gesetze in Betreff des Gefieders männlicher und weiblicher Vögel dem der jungen gegenüber sich aus der Ansicht erklären lassen, das Gefieder seye hauptsächlich durch die Geschlechtliche Wahl modifizirt worden, welche im Geschlechtsreifen Alter während der Jahres-Zeit wirkt, welche der Fortpflanzung gewidmet ist. Die dadurch erfolgten Abänderungen sind dann auf entsprechende Alter und Jahres-Zeiten wieder vererbt worden entweder durch die Männchen allein, oder durch Männchen und Weibchen; ich habe aber hier nicht Raum weiter auf diesen Gegenstand einzugehen.

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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_094.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)