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ohne desshalb gerade einen anderen Theil in entsprechendem Grade stärker auszubilden. Und eben so dürfte sie, umgekehrt, vollkommen im Stande sein ein Organ stärker auszubilden, ohne die Verminderung eines anderen benachbarten Theiles als nothwendige Compensation zu verlangen.

     Nach Isidore Geoffroy Saint-Hilaire’s Wahrnehmung scheint es bei Varietäten wie bei Arten Regel zu seyn, dass, wenn ein Theil oder ein Organ oftmals im Baue eines Individuums vorkommt, wie der Wirbel in den Schlangen und die Staubgefässe in den polyandrischen Blüthen, dessen Zahl veränderlich wird, während die Zahl desselben Organes oder Theiles beständig bleibt, falls er sich weniger oft wiederholen muss. Derselbe Zoologe sowie einige Botaniker haben ferner die Bemerkung gemacht, dass sehr vielzählige Theile auch grösseren Veränderungen im inneren Bau ausgesetzt sind. Zumal nun diese vegetativen Wiederholungen, wie R. Owen sie nennt, ein Anzeigen niedriger Organisation sind, so scheint die vorangehende Bemerkung mit der sehr allgemeinen Ansicht der Naturforscher zusammenzuhängen, dass solche Wesen, welche tief auf der Stufenleiter der Natur stehen, veränderlicher als die höheren sind. Ich verstehe unter tiefer Organisation in diesem Falle eine geringe Differenzirung der Organe für verschiedene besondere Verrichtungen; denn solange ein und dasselbe Organ verschiedene Arbeiten zu verrichten hat, lässt sich ein Grund für seine Veränderlichkeit vielleicht darin finden, dass Natürliche Züchtung jede kleine Abweichung der Form weniger sorgfältig erhält oder unterdrückt, als wenn dasselbe Organ nur zu einem besondern Zweck allein bestimmt wäre. So mögen Messer, welche allerlei Dinge zu schneiden bestimmt sind, im Ganzen so ziemlich von einerlei Form seyn, während ein nur zu einerlei Gebrauch bestimmtes Werkzeug für jeden andern Gebrauch auch eine andere Form haben muss.

     Auch unvollkommen ausgebildete, rudimentäre Organe sind nach der Bemerkung einiger Schriftsteller, die mir richtig zu seyn scheint, sehr zur Veränderlichkeit geneigt. Ich verweise in dieser Hinsicht auf die Erörterung der rudimentären und abortiven

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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_160.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)